Die Geschichten hinter dem Lockdown Nr. 07: „Ich konnte die Verlangsamung unserer Gesellschaft deutlich spüren.“

Anonymer Erfahrungsbericht – Der Name ist der Redaktion bekannt

Ich bin selbständige Bauingenieurin Ende 50, arbeite in einer Großstadt in Deutschland.

Ich gehöre zu den viel gescholtenen Verschwörungstheoretikern. Von Anfang an und bis heute hat sich die Faktenlage für mich nicht geändert. Und ich bleibe selbstverständlich offen für andere und neue Meinungen und Fakten.

„Tempo, Lautstärke, Tagesabläufe kamen mir vor wie in den 70er Jahren in der DDR“

Ich habe denn auch die ganze Zeit tapfer durchgearbeitet, weil an mir viel dranhängt. Zwar keine Kinder mehr, aber immer noch ein fetter Kredit und etliche Organisationen, die meine monatlichen Spenden zum Wirken brauchen.

Dennoch konnte ich die Verlangsamung unserer Gesellschaft stark fühlen.

Und, wenn ich ehrlich bin, ich war teilweise davon fasziniert.

Tempo, Lautstärken, Tagesabläufe und, und, und kamen mir auf einmal vor wie in den 70er Jahren in der DDR. Unaufgeregt. Unspektakulär. Einfach. Menschlich. Nah an der Natur, nah an den Menschen.

Ich kriege es grad nicht treffender formuliert.

„Ich habe die Zeit auch genutzt, um neue Wege zu finden.“

Kontakte gingen über Augen. Über Spüren. Unterhaltungen fand ich achtsamer, auch wenn Meinungen ganz unterschiedlich waren.

Man hat sich wieder als Mensch geschätzt, ohne Absicht dahinter. Kein Rennen mehr nach der nächsten Optimierung seiner Person, nach dem spannenden Freizeitkick, nach dem erzählenswertesten Urlaub… kein Konsum mehr.

Das war spannend und wegen mir hätte das so weitergehen können.

Aber ich habe die Zeit auch genutzt, um neue Wege zu finden. Schon wieder so ein Zweckwort, aber das finde ich an dieser Stelle passend.

Der Weg zu mir, der fiel mir in dieser leisen und verlangsamten Zeit deutlich leichter.

„Ich habe neben einer Patenkuh nun auch ein Patenschwein.“

Ich habe die Partei gewechselt, Zeitungsabos geändert, völlig neuartige Bücher bestellt und gelesen, die ich sonst nie gelesen hätte. Freunde, sogenannte, habe ich sausen lassen, manche haben mich quasi auch entsorgt. Täglich für mich, Hund und Katze frisch gekocht. Lebensenergie geht auch über Essen. Ich habe neben einer Patenkuh nun auch ein Patenschwein und bin echt glücklich damit. Mein Weg eben.

Es gab somit Etliches an Klärung, die ich als sehr heilsam empfand. Dafür bin ich dankbar.

Mein Schlusssatz ist der, dass besonders Krisen bei mir zum „Reifen“ gut sind, auch wenn ich das mittendrin in einer Krise nicht wirklich Klasse finde.

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