Ein Gespräch mit Dr. Antônio Inácio Andrioli
Am 3. 8. 2007 besuchte uns Dr. Antônio Inácio Andrioli im »Dr.-Max-Otto-Bruker-Haus« in Lahnstein. Unseren Lesern und Besuchern der GGB-Tagungen ist er als kompetenter Autor und Referent in Sachen Gentechnik bekannt. Für neue Leser hier eine kurze Vita zu seiner Person:
1974 in Brasilien geboren, Studium Agrartechnik, dann Studium der Philosophie, Psychologie und Soziologie. Master in Erziehungswissenschaften. Im Fachbereich Soziologie promovierte er an der Universität Osnabrück zum Thema »Bio-Soja versus Gen-Soja«. Er lebt in Brasilien und setzt sich dort intensiv für die Kleinbauern und Landlosen ein.
Wir nutzten unser Treffen, um über aktuelle Anlässe und zukünftige Pläne zu sprechen.
Aktueller Anlass war eine ganzseitige Anzeige in der Süddeutschen Zeitung am 1. 6. 2007.
Herr Andrioli, vor mir liegt die Süddeutsche Zeitung vom 1. 6. 2007. Darin lautet die fette Überschrift einer Anzeige »Gentechnologie macht die Erde zwar nicht größer, aber ertragreicher«. Das sagt der Direktor am Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung, Prof. Dr. Heinz Saedler. Was sagen Sie dazu?
Die Aussage, durch Gentechnik oder Gentechnologie den Ertrag bei Pflanzen steigern zu können, ist eine Vermutung, die nicht mit wissenschaftlichen Studien belegt werden kann, denn weltweit haben wir ganz andere Erfahrungen gemacht. Bei den bisher zugelassenen Gen-Pflanzen geht es hauptsächlich um Soja, Mais, Baumwolle und Raps, also um herbizidresistente und insektenresistente Pflanzen. Bei diesen Pflanzen gibt es keine gentechnische Veränderung, die etwas damit zu tun haben könnte, den Ertrag zu steigern.
Es gibt wiederum Statistiken, mit denen man zu belegen versucht, dass man ertragreichere Sorten bei gentechnisch veränderten Pflanzen haben könnte. Aber dieses Vorgehen ist nicht wissenschaftlich belegt. Man sollte in der Wissenschaft dieselbe Methode anwenden oder beim Vergleich unter denselben Bedingungen zu Ergebnissen kommen. Weltweit haben wir die Erfahrung gemacht, dass der Ertrag, also das, was man pro Hektar erzeugen kann, durch die gentechnisch veränderten Pflanzen geringer wird.
Welche Auswirkungen zeigen sich während des Anbaus von Gen-Pflanzen?
Nehmen wir das Beispiel Soja. Das ist die Pflanze, mit der 61 Prozent der Forschung zurzeit stattfindet. Bei Soja haben wir sowohl in Argentinien, wie in den USA als auch in Brasilien schon seit 1986 Erfahrungen vorliegen, dass die gentechnisch veränderten Sorten 5–10 Prozent weniger Ertrag pro Hektar haben, weil man bei diesen Pflanzen eine Konzentration der Energie auf die Herbizidresistenz hat.
Durch den übermäßigen Einsatz von Glyphosat und Roundup, das ist die Marke von Monsanto, findet eine Veränderung bei der Fixierung von Stickstoff statt und eine Beeinträchtigung der Knöllchenbakterien. Diese chemischen Mittel werden von den Bauern im Übermaß eingesetzt. Es gibt Bauern, die drei bis sogar fünf Liter Glyphosat pro Hektar spritzen. Das größte brasilianische staatliche
Forschungsinstitut Embrappa hat belegt, dass der Einsatz dieser Mittel nachhaltige Auswirkungen auf die Produktivität und den Ertrag hat. Man vermutet, dass auch ein Einfluss auf die Eiweißbildung besteht, wenn die Stickstofffixierung nicht mehr so funktioniert wie vorher. Dieser Punkt muss noch weiter untersucht werden.
Es ist belegt, dass gentechnisch veränderte Pflanzen anfälliger sind für Schädlinge und Krankheiten. Wir haben bei der Soja mehr Holzanteil. Das führt dazu, dass es mehr Risse am Stamm und an den Wurzeln der Pflanze gibt – und die Pflanze hat weniger Phytohormone.
Es gibt keine gentechnisch modifizierte Sojasorte auf dem Markt, die mehr Ertrag hat als eine herkömmliche oder eine ökologisch produzierte Sojasorte. Dasselbe haben wir beim Mais, dasselbe haben wir mit den katastrophalen Auswirkungen der Baumwolle in Indien, dasselbe haben wir auch bei Raps. Diese Behauptung vom Mehrertrag ist nicht belegt.
Wie kann Herr Saedler trotzdem so etwas behaupten?
Man kann zu solchen Ergebnissen nur dann kommen, wenn man unwissenschaftliche Versuche durchführt, wenn man lediglich durch Vergleiche zur Statistik kommt, wenn man nicht dieselbe Methode unter denselben Bedingungen anwendet.
Das kann ich hier mit einem Beispiel zeigen: Man hat ein Feld mit Gen-Soja angebaut und ein anderes Feld mit herkömmlicher Soja zum Vergleich. Bei der Gen-Soja spritzt man Roundup, dadurch ist zunächst das Unkraut fast vollkommen vernichtet. Alles nicht, weil es auch eine Resistenzbildung gibt. Bei der herkömmlichen Soja haben wir das Problem, dass die meisten Herbizide, die man da angewendet hat, diese Unkrautvernichtungsmittel, durch übermäßigen langjährigen Einsatz zur Resistenzbildung geführt haben. Bauern, die kein Problem mit der Unkrautbekämpfung haben, haben mit
der Gen-Soja sogar nur zu verlieren. Genauso Bauern, die kein Problem mit Maiszünsler haben. Auch sie haben mit dem Gen-Mais nur zu verlieren. In den ersten Jahren glauben sie, etwas zu gewinnen und danach zeigt sich die Resistenzbildung. Das muss man doch in der Wissenschaft ernst nehmen.
Herr Saedler beschwört im Anzeigentext die Erhaltung der Artenvielfalt.
Der Herr von dem Institut gibt sich so, als ob er ein Schützer der biologischen Vielfalt wäre. Und das ist ein Skandal, denn mit der gentechnisch veränderten Soja hat man sich meistens auf Monokulturen gestützt. Und durch Anwendung von Totalherbiziden hat man versprochen, alle Unkräuter rundum zu vernichten. Nicht nur Unkräuter werden vernichtet, sondern auch alle Lebewesen, sogar Regenwürmer werden durch Glyphosat zerstört.
Mit Gen-Mais ist es dasselbe. Durch diese Giftpflanze wird nicht nur der Maiszünsler zerstört, sondern vieles darum herum. Diese Methode basiert auf Töten. Und das soll jetzt der Schutz der biologischen Vielfalt sein. Genau das Gegenteil ist der Fall. Wir alle müssen davon ausgehen, dass man sinnvoller, nachhaltiger und gesünder produzieren sollte.
Für das Ziel, ertragreicher zu produzieren, habe ich ein schönes Beispiel erlebt: Ich komme aus der Stadt, in der die brasilianische Soja-Messe stattfindet. Im Jahr 2006 fand dort ein Ertragsvergleich in Form eines Wettbewerbes statt. Alle Bauern, die vor Ort Soja produzieren, machten mit. Es zeigte sich folgendes Ergebnis: 1. Platz Bio-Soja, 2. Platz Bio-Soja, 3. Platz Bio-Soja, 4. Platz Bio-Soja und 5. Platz herkömmlicher Soja. Gen-Soja blieb ganz hinten! Auf dem letzten Platz!
Und was war der Preis, den die Bauern gewonnen haben? Chemische Düngemittel und Pestizide!!! Die Veranstalter dieses Wettbewerbs konnten sich nicht vorstellen, dass man durch ökologische Landwirtschaft viel mehr pro Hektar produziert als durch herkömmliche Anbauweise und – noch absurder – im Vergleich zu Gen-Soja. Der biologische Weg ist der, den man gehen sollte, wenn es darum geht, mehr zu produzieren. Aber wir produzieren ja viel zu viel auf der Welt. Wir sollten eigentlich besser, gesünder, nachhaltiger, sinnvoller produzieren.
Herr Saedler behauptet in seiner letzten Aussage dieser Anzeige, dass herkömmlicher Mais gefährdet ist, weil durch die Bisswunden der Raupen gefährliche Schimmelpilze in die Pflanze eindringen können. Eines dieser Pilzgifte ist das Fumonisin. Es ruft Fehlgeburten und Missbildungen an Kleinkindern hervor. In Entwicklungsländern, wie etwa Guatemala, ist die Fehlgeburtenrate, so Herr Saedler, 20-mal größer als in den USA. Dort könnte Bt-Mais also segensreich wirken, meinte er. Solche erheblichen Vorteile gentechnisch veränderter Pflanzen sind allgemein zu wenig bekannt, sagte er als Schlusssatz.
Eigentlich ist es ja zunächst einmal zu begrüßen, dass Wissenschaftler, die lange mit Chemie beschäftigt sind und diese befürwortet haben, sich jetzt Sorgen machen und meinen, dass man vielleicht doch gesündere Produkte entwickeln sollte. Sie kommen sogar auf die Idee zu sagen, dass jetzt weniger Chemieeinsatz eine Priorität sei, denn sie selbst stellen jetzt auch fest, dass Chemie krank macht. Das ist
schon mal eine wichtige Erkenntnis, die man wahrnehmen sollte. Sie kommt aber zu spät.
Jetzt behaupten dieselben Wissenschaftler, das man durch eine neue Giftpflanze (Bt-Mais – I. G.) nicht so giftige Pflanzen hätte, wie man es mit dem üblichen Anbau hat. Manche behaupten sogar, dass diese neue Pflanze nicht weniger giftig sei, sondern man sogar sagen könnte, dass sie gesünder sei. Sie verwechseln also »weniger giftig« mit »gesünder«.
Man diskutiert nicht, warum es eigentlich Schädlinge gibt, warum man auf diese Idee kommt, eine Giftpflanze zu entwickeln, die dann Insekten zerstören soll. Das auf Töten basierte Bekämpfungsmittel, das man jetzt bei Bt hat, steht immer noch im selben Kontext der Prozesse, die durch Pflanzenschutzmittel entstanden.
Man kann ganz klar sagen: Heute gibt es so viele Schädlinge und so viele Krankheiten und so viele Unkräuter in der Landwirtschaft, weil man so viel Chemie benutzt hat. Weil man nicht sinnvoller bewirtschaftet hat.
Jetzt soll ich von denselben Wissenschaftlern hören, dass durch einen Maiszünsler Probleme entstehen könnten für die Gesundheit von Menschen. Aber sie erklären nie, warum eigentlich ein Maiszünsler zu dieser Pflanze geht und diese angreift. Der Maiszünsler ist nicht das Problem. Der Maiszünsler ist nur eine Auswirkung von verschiedenen landwirtschaftlichen Methoden, die genauso falsch sind wie diejenigen, die jetzt als moderne Technik verkauft und von denselben Wissenschaftlern und von denselben Konzernen in die Welt gebracht werden. Ein Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut, der so etwas behauptet, hat keine Probleme, wenn neue Krankheiten entstehen, zum Beispiel eine mögliche Immunschwäche durch Bt-Mais. Es gibt ja den großen Chemiekonzern Bayer, der dann dagegen Medikamente produziert.
Bayer hat übrigens das Max-Planck-Institut stark unterstützt.
Es ist wichtig, an derartigen Aussagen zu erkennen, welchen Bezug es gibt zur Wissenschaft oder zur Lobbyarbeit.
Für mich ist das keine Wissenschaft. Für mich ist das nichts anderes als Ausbreitung von euphorischer Propaganda von ein paar Konzernen, die diese Wissenschaft wiederum finanziert.
Der Anbau von Gen-Mais durch Bayer in Brasilien wurde gekippt.
Es gab eine Zulassung für diesen Mais am 16. 5. 2007 durch eine sogenannte Wissenschafts-Kommission, die keine Legitimität hat, keine Repräsentativität und nicht mal die Kompetenz in diesem Bereich der Biosicherheit. Aber schon am 28. 6. 2007 haben sie das wieder gestoppt, denn die Zulassung war verfassungswidrig. Sie verstieß gegen drei Prinzipien des Umweltrechtes, nämlich der nachhaltigen Entwicklung, des Vorsichtsprinzips und des Schadenersatzes. Die Zulassung wurde gestoppt aufgrund der Mobilisierung der Zivilgesellschaft.
Haben sich Ärzte auch dabei engagiert?
Ja, es waren Einzelne, die sich beteiligten.
Ihr Buch »Die Saat des Bösen« soll in Brasilien unter dem Titel »As Sementes do Mal« erscheinen. Wir helfen Ihnen dabei und suchen noch Sponsoren.
Darüber freue ich mich sehr, denn die Aufklärung der Bevölkerung in Brasilien ist unzureichend. Hilfe tut dringend not.
Danke für das Gespräch.