Corona: Augenmaß statt Panikmache – Interview mit Dr. Mathias Jung

Interview mit Karin Kring von der Rhein-Lahn-Zeitung.

Wie erleben Sie die aktuelle Situation ganz persönlich? Und wie geht die GGB im Gesundheitszentrum Dr.-Bruker-Haus damit um?

Unsere Frühjahrstagung in der Stadthalle musste zu einem Zeitpunkt abgesagt werden, als wir bereits 600 Anmeldungen hatten. Es ist ein schwerer finanzieller Ausfall und eine menschliche Enttäuschung. Alle Ausbildungskurse, die Praxis-Seminare in der Lehrküche, die Vorträge unserer beiden Ärzte und der beiden Therapeuten dürfen nicht mehr stattfinden. Wir wissen nicht, wie lange die Situation anhält.
Dies ist, trotz aller notwendigen Seuchenmaßnahmen, niederdrückend. Die Existenz des Bruker-Hauses steht damit auf dem Spiel. Einzig unser Bio-Laden mit vollwertigen Nahrungsmitteln (Getreide, Nudeln, Öl, Gewürze usw.) ist geöffnet. Ärztliche und therapeutische Sprechstunden finden statt, aber auch das führt durch die Corona-Angst zu Absagen. Unsere Mitarbeiter müssen Teilzeitarbeit akzeptieren und finanzielle Einbußen hinnehmen. Trotz allem haben wir die Hoffnung, dass die Viruserkrankungen in absehbarer Zeit nachlassen. Wir machen Mut.

Wie können wir mit der Angst umgehen, die zurzeit weltweit herrscht?

Es geht darum, Maß zu halten und keine Panik zu schüren. Wenn zum Beispiel offiziell verlautbart wird, die Corona-Krise in Deutschland sei die größte Herausforderung seit 1945, so ist dies absolut falsch. Tatsächlich hatten wir nach Kriegsende drei schwerste Krisen zu bewältigen: Die Einbürgerung von 12,5 Millionen deutscher Flüchtlinge aus dem Osten. Den Wiederaufbau der schwer zerstörten Städte. Die Wiedererrichtung der am Boden liegenden Wirtschaft.

Wir sollten heute aufpassen, dass wir nicht alle Macht an den Virus und das Robert-Koch-Institut abtreten. Der Chefkommentator der „Süddeutschen Zeitung“, der Jurist Heribert Prantl, warnte am 21. März 2020:

„Virologen sprechen nicht nur mehr von Wochen, sondern von Monaten und Jahren. Sie sollten sich mit solchen Äußerungen zurückhalten, weil sie so den Notstand herbeireden,  den die Notmaßnahmen verhindern sollen. Es geht um Überwindung von Angst,  nicht um das Produzieren neuer Ängste.“  Die „FAZ“ kommentierte am 20. März 2020 in diesem Sinne: „Ein staatlich angeordneter Shutdown lässt sich vielleicht einige Wochen verkraften, aber sicherlich nicht mehrere Monate, wie manche Virologen es empfehlen.“

Was raten Sie Menschen, die durch eine Vorerkrankung besonders gefährdet sind?

Sie sollten sich unbedingt ärztlicher Behandlung anvertrauen. Gerade ihre Lage ist besonders ernst zu nehmen. Aus Italien erfahren wir, dass von den 2000 Todesfällen (Stand: 21. März) mehr als 99 Prozent an einer oder mehreren Vorerkrankungen litten. Bis zum 17. März wurden insgesamt „nur“ 17 Personen unter 50 Jahren unter den Todesopfern registriert („FAZ“: 21.3.2020).

Wie können Menschen, die unter psychischen Erkrankungen, zum Beispiel Depressionen, Angststörungen, Panikattacken, leiden, mit der aktuellen Situation umgehen?

Sie sollen sich unbedingt fachliche Hilfe holen. Dies ist möglich. Sie können sich von Therapeutinnen, Therapeuten, Seelsorgern und Ärzten beraten lassen. Das geht auch telefonisch. Unser Psychologischer Psychotherapeut Hassan El Khomri und ich praktizieren das selbstverständlich auch.

Sollen wir uns tagtäglich informieren? Oder treibt die Informationsflut – oftmals sind es ja die sozialen Medien, die alles Erdenkliche ungefiltert verbreiten – noch mehr in die Krise?

Information ja, aber auch da mit Augenmaß. Lassen wir uns nicht verrückt machen, vor allem nicht von Verschwörungstheoretikern, die die Angst anheizen. Sie sind erschreckend inkompetent und hasserfüllt.

Was raten Sie zu tun in dieser Zeit, in der alle zu Hause bleiben sollen? Müssen wir die kommenden Wochen wirklich ohne soziale Kontakte durchstehen?

Nein. Über Telefon, Mails, WhatsApp, Skypen – kurz über alle medialen Kommunikationsmöglichkeiten, aber auch über  „altmodisches Briefeschreiben“  können wir den liebevollen Kontakt mit unseren Angehörigen, Freunden, Kolleginnen, Kollegen, Geschäftspartnern, Nachbarn pflegen, ja sogar vertiefen. Wenn wir zu viel zu Hause hocken und gereizt werden – der sogenannte Stubenkoller –, müssen wir die Konflikte offen ansprechen. Als Paartherapeut empfehle ich, uns viel Zärtlichkeit zu schenken und Gott Eros in die Hütte zu bitten. Angstmindernd und zugleich solidarisch ist es auch, in der Umgebung Alten und Menschen in Not Hilfe anzubieten für Einkäufe, Behördengänge und Arzttermine.

Schließlich dürfen wir die Auszeit für unsere Bedürfnisse und Hobbies nutzen. Klienten berichten mir, dass sie intensiver als sonst Klavier spielen, Musik hören, viel lesen, Kultursendungen genießen, stricken, basteln, Spiele machen und den Garten pflegen.

Was können wir für die Gesundheit tun?

Die durchaus notwendigen seuchenhygienischen Maßnahmen reichen allein nicht aus. Wir können unseren Körper mit Spaziergängen, Sport, Sonnenbädern (Vitamin D3), Kneipp´schen Maßnahmen, Sauna und ausreichend Schlaf stärken. Besonders wichtig ist die Umstellung auf eine Vollwerternährung mit viel Frischkost.

Muss sich unsere Gesellschaft ändern, ist all dies vielleicht eine Warnung?

Das ist unzweifelhaft. Das reicht vom Klimaschutz über die ökologische Achtsamkeit, einem  gesunden Lebensstil, seelischer Selbstvorsorge bis zum verantwortungsvollen Engagement für das Gemeinwohl.

Wagen Sie eine Prognose? Wie wird das Leben nach Corona aussehen und weitergehen?

Wir werden diese Krise nicht vergessen dürfen. Sie stellten jeden von uns vor philosophische Sinnfragen. Leben wir nur für Konsum und Zerstreuung? Was macht die Aufgaben meines Lebens aus? Engagiere ich mich für bedürftige Menschen, Alte, Kranke, Flüchtlinge? Teilen wir uns in diesen bewegten Zeiten gegenseitig unsere Ängste und Freuden mit. Es gilt das afrikanische Sprichwort: “Der Mensch ist dem Menschen Medizin“.

Dr. Mathias Jung
Gestalttherapeut und Philosoph