Ein Beitrag von Ronja Lutz, Ärztin im Dr.-Max-Otto-Bruker-Haus
Zu Beginn der Corona-Zeit, als sich damals noch fremdartig erscheinende Infektionsschutzmaßnahmen wie Kontaktbegrenzungen, Maskenpflicht oder Ausgangssperren förmlich überschlugen, haben wir eindringlich vor den möglichen Folgen dieser einseitigen Vorgehensweise gewarnt.
Der gesamte Fokus lag auf der Verhinderung einer Ansteckung – ganz nach dem wissenschaftlich nicht haltbaren Prinzip „Die Mikrobe ist alles – das Milieu ist nichts“, das Louis Pasteur im 19. Jahrhundert vehement vertrat und dem er auf seinem Sterbebett abgeschworen haben soll. Sämtliche Maßnahmen waren auf das Verhindern eines Kontakts zu Coronaviren ausgerichtet und veränderten das gesellschaftliche Leben grundlegend. Wenig bis keine Beachtung fand dagegen die Chance einer Stärkung des Immunsystems auf natürlichem Weg, also durch eine gesunde Ernährungs- und Lebensweise.
Das Ausmaß der negativen Folgen, die die politische Vorgehensweise mit sich bringen würde, war im Frühjahr 2020 nicht abzusehen und kann auch heute nur zu Teilen erfasst werden. Doch schon zu Beginn dieser einschneidenden Veränderungen war klar, dass viele Menschen Schaden nehmen würden: Kinder in sozio-ökonomisch schwachen Familien, denen mit der Schulschließung vorübergehend nicht nur jegliche Struktur, sondern auch das Recht auf faire Bildungschancen genommen wurde. Alte und kranke Menschen, die in einer ungeahnten Isolation versanken. Sterbende, denen eine Begleitung durch liebende Menschen in den letzten Tagen und Stunden ihres Lebens versagt wurde, und mindestens ebenso viele Angehörige, die von einem sterbenden Menschen nicht Abschied nehmen durften. Aber auch zahlreiche Menschen, die durch die angstschürende Berichterstattung trotz schwerwiegender gesundheitlicher Probleme keine medizinische Behandlung in Anspruch nahmen, oder Opfer häuslicher Gewalt, deren Leid sich in Zeiten des Lockdowns sicherlich ins Unermessliche steigerte.
Stärkere Grippewelle als während der „Pandemie“
Vor einer anderen Folge der letzten zweieinhalb Jahre Infektionsschutz, die zu Beginn weit weniger abzusehen war, stehen wir jetzt. 33 Monate Nicht-Beachtung des Immunsystems als wesentlichsten Baustein im Umgang mit Infektionskrankheiten fordern ihren Tribut. Nach zwei „Corona-Wintern“ erleben wir die kalte Jahreszeit in diesem Jahr erstmalig wieder ohne gravierende Kontaktbeschränkungen, (Teil-)Lockdowns und Maskenpflicht in öffentlichen Gebäuden. Parallel dazu ist die Anzahl an Atemwegs-Infektionen nach oben geschnellt. Sowohl die Rate der akuten Atemwegsinfektionen, als auch die der grippeähnlichen Erkrankungen, die wöchentlich vom Robert-Koch-Institut erfasst und veröffentlicht wird, liegt deutlich über den „Pandemie-Jahren“ und übersteigt auch die Höchstwerte, die während früherer starker Grippewellen erreicht wurden.[1] Auch hierbei zeigt sich wieder der Unsinn, Gesundheit über das Ausbleiben von Corona-Infektionen zu definieren: Mehr Menschen als zu Pandemie-Zeiten haben Atemwegsinfekte, doch da weniger von ihnen Corona-positiv sind, wird die Situation im Gesamten als weniger bedrohlich empfunden und dargestellt – und das, obwohl zahlreiche Krankenhäuser über das Erreichen und Überschreiten ihrer Belastungsgrenzen klagen.
Ein überlastetes System
Besonders stark betroffen sind von den aktuellen Erkältungswellen Kinder im Alter von null bis vierzehn Jahren. Sowohl die Rate akuter Atemwegserkrankungen als auch die Rate grippeähnlicher Erkrankungen lag bei Kindern in der 48. Kalenderwoche mit 25 bzw. ca. 14 Prozent mehr als doppelt so hoch wie in den Vorjahren. Die ungewöhnlich große Anzahl kranker Kinder trifft nun auf ein Gesundheitssystem, dessen Vergütungsstruktur, insbesondere im Bereich der Kinder-Abteilungen, massive Einsparungen und Schließungen zur Folge hatte. In den letzten dreißig Jahren (also beginnend bereits vor Einführung des DRG-Fallpauschalen-Systems 2003) ist die Bettenanzahl in der Kindermedizin deutschlandweit von über 30.000 auf knapp 18.000 gesunken, die Anzahl der Fachabteilungen für Kinder- und Jugendmedizin von 440 auf 334. Parallel dazu ist die Anzahl stationärer Fälle in diesem Fachbereich (mit Ausnahme der Pandemie-Jahre) kontinuierlich gestiegen.[2] Dieser gegenläufige Trend bringt die Kindermedizin seit einiger Zeit grundsätzlich in eine schwierige Situation: Der Bedarf an Krankenhauskapazitäten ist groß, doch die Finanzierung erlaubt keinen Ausbau und zwingt vielerorts sogar zu einem Abbau.
Während der aktuellen Erkrankungswelle spitzt sich diese Situation dramatisch zu. Florian Hoffman, Generalsekretär der pädiatrischen Sektion der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), sagte gegenüber dem SPIEGEL: „Das System ist endgültig überlastet, und zwar bundesweit.“ Und weiter: „Wir verlegen mittlerweile pro Monat bis zu hundert Kinder aus München … Wenn wir Glück haben, finden wir 150 Kilometer weit weg ein Bett. Dann bringen wir das Kind dorthin.“[3] Noch gravierender klang die Warnung von Michael Sass, leitender Oberarzt der Kinderklinik der Medizinischen Hochschule Hannover: „Kinder sterben, weil wir sie nicht mehr versorgen können“.[4] Christian Dohna-Schwake, Oberarzt der Kinderintensivstation im Universitätsklinikum Essen, fand schließlich drastische Worte für den aktuellen Notstand: „Was wir hier sehen und behandeln, ist eine vernachlässigte Generation.“[5]
Die Entwicklung einer gesunden Immunkompetenz
Doch woran liegt es, dass gerade jetzt, nach der „Corona-Pandemie“, so viele Kinder krank sind und die medizinische Versorgung in diesem Bereich weit über ihre Grenzen hinaus belastet ist? In unseren Augen sind die Antworten hierfür in erster Linie in den veränderten Lebensbedingungen der letzten zweieinhalb Jahre zu suchen. Der Immunschutz von Kindern ist einer ständigen Entwicklung unterworfen. Durch den Kontakt mit ihrer Umwelt bilden sie nach und nach eine Immunlage aus, durch die sie kompetent auf verschiedenste Krankheitserreger reagieren können. Das beginnt schon mit der Geburt: Auf dem Weg durch den Geburtskanal treffen Babys auf verschiedenste Mikroben der Vaginalschleimhaut ihrer Mutter – diese sind es, die die ersten Bestandteile ihres sogenannten „Mikrobioms“ ausmachen, also der Mikroorganismen, die auf und in ihnen leben und wesentliche Auswirkungen auf ihre Immunlage und allgemeine Gesundheit haben. Anschließend genießen (insbesondere gestillte) Kinder den sogenannten „Nestschutz“: Über die Plazenta und anschließend die Muttermilch werden Antikörper und andere wichtige immunwirksame Stoffe auf das Baby übertragen und verleihen ihm eine Immunität gegenüber Krankheitserregern, denen ihre Mutter ebenfalls ausgesetzt war und ist. Umso älter sie werden, desto mehr kommen sie schließlich auch mit anderen Erregern in Kontakt und bilden den spezifischen Teil ihres eigenen Immunsystems entsprechend aus.
Babys und Kleinkinder machen dementsprechend in den ersten Lebensjahren meist eine Vielzahl von Besiedelungen mit Krankheitserregern und auch Infektionen durch – häufig auch ohne subjektiven Krankheitswert, also ohne, dass sich die Kinder dabei krank fühlen oder deutliche Krankheitssymptome zeigen. Der stetige Kontakt mit Mikroorganismen der Umwelt wirkt dabei wie ein Training: Das Immunsystem lernt immer mehr dazu und ermöglicht es dem Menschen, gut in der ihm bekannten Umgebung zurecht zu kommen. Wenn sich eine gesunde Immunität aufgebaut hat, erkranken Menschen in erster Linie dann an Infektionskrankheiten, wenn ihr Immunsystem beispielsweise durch Stress, schädigende Faktoren wie Alkoholkonsum, eine ungesunde Ernährung oder im Rahmen einer schweren Grundkrankheit akut geschwächt ist. Wahrscheinlicher ist eine Infektionskrankheit außerdem dann, wenn sie plötzlich mit noch unbekannten Erregern konfrontiert werden, beispielsweise im Ausland.
Zurück zu einer nicht-medikalisierten Welt
Und genau hier liegt das Problem der letzten zweieinhalb Jahre Infektionsschutzmaßnahmen. Durch Abstandsgebote, Kita- und Schulschließungen, Maskenpflicht und Ähnliches wurde eine Art künstliche „Sterilität“ geschaffen – eine Welt, die natürlich nicht tatsächlich „steril“, also nicht frei von Krankheitserregern war, in der die Auseinandersetzung mit einigen Krankheitserregern jedoch herunterreguliert wurde. Zum Beispiel, indem „Erkältungswellen“ mit bestimmten Atemwegsviren nicht oder nur eingeschränkt zustande kamen, wie es sich beispielsweise bei den Respiratorischen Synzytial-Viren (RSV) gezeigt hat, die momentan besonders verbreitet sind. Das führt dazu, dass nach Abschaffung dieser Maßnahmen Kinder plötzlich mit einer ungewohnten Menge, teilweise für sie persönlich auch neuer, Krankheitserreger konfrontiert sind. Somit sind mehr Kinder als gewöhnlich (noch) nicht immunkompetent für die entsprechenden Erreger, weil sie ihnen nicht Jahr für Jahr mehrmals begegnet sind. Dadurch erkranken aktuell mehr Kinder gleichzeitig an Infektionskrankheiten und das möglicherweise auch schwerer, als sie es im Rahmen mehrmaliger, leichter Infektionen getan hätten, was natürlich zu einer hohen Auslastung der knappen medizinischen Kapazitäten führt.
Nun stellt sich die Frage, ob die aktuelle Situation zum Anlass genommen werden sollte, die Infektionsschutzmaßnahmen wieder aufleben zu lassen. In unseren Augen ist die Antwort darauf ein deutliches „Nein“. Denn wie schon Albert Einstein so treffend formulierte: „Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.“ Wir können unseren Kindern nicht dauerhaft helfen, indem wir sie von der Realität abschirmen. Wenn wir wollen, dass sie sich in einer nicht-medikalisierten Welt zurechtfinden – physisch und psychisch –, müssen wir diese Welt zulassen und sie so schnell wie möglich wieder als Normalität betrachten.
Stärkung des Immunsystems durch eine natürliche Ernährungs- und Lebensweise
Wenden wir den Blick jedoch endlich ab von einer einseitigen Fokussierung auf Krankheitserreger hin zur ganzheitlichen Gesundheit und den Chancen der Prävention, gibt es durchaus einiges, womit wir unsere Kinder grundsätzlich und auch ganz akut stärken können. Denn wie Dr. Max Otto Bruker so treffend formulierte: „Jede Krankheit hat Ursachen.“[6] Die Ursache der Infektanfälligkeit sah Dr. Bruker vorrangig in Fehlern in der Ernährung – er zählte sie zu den ernährungsbedingten Zivilisationskrankheiten. Mit einer naturbelassenen, vitalstoffreichen Kost können wir unseren Kindern helfen, ein gesundes Immunsystem aufzubauen. Konkret heißt das ein Meiden von Fabrikzucker, Auszugsmehlen, Fabrikfetten und großen Mengen an tierischem Eiweiß und stattdessen die Bevorzugung möglichst schonend oder unverarbeiteter Lebensmittel: also reichlich Frischkost, Vollkornbrote, naturbelassene Fette und als Herzstück der vitalstoffreichen Vollwertkost der tägliche Frischkornbrei.[7]
Aber auch neben der Ernährung gibt es einiges, was wir für die Stärkung des Immunsystems tun können. Zum einen sind hier lebensbedingte Einflüsse zu nennen. Wie oben bereits beschrieben, kann auch Stress, insbesondere sogenannter Disstress, negativer Stress, das Immunsystem schwächen. Es ist also gerade jetzt, aber natürlich auch ganz allgemein, wichtig, Kindern zu einer ausgeglichenen, abwechslungsreichen Lebensweise zu verhelfen: Regelmäßige Bewegung an der frischen Luft, nicht zu viel Druck durch (schulische) Verpflichtungen, ausreichend Zeit für kreatives Spiel und kindliche Entfaltung.
Zum anderen können hierbei naturheilkundliche Methoden zur Stärkung des Immunsystems eine wichtige Rolle spielen. Beispielsweise Kneipp-Anwendungen können – selbstverständlich immer mit dem Befinden des Kindes im Blick – auch schon bei Babys und kleinen Kindern angewendet werden. Eine nützliche Anwendung, die sowohl präventiv als auch im Fall einer akuten Erkrankung durchgeführt werden kann, ist die sogenannte Ganzwaschung, bei der durch Kaltreize die Widerstandskraft des Organismus Stück für Stück gesteigert werden kann.[8] Eine andere Möglichkeit ist das morgendliche Tautreten oder – wie es aktuell in einigen Regionen möglich sein sollte – Schneegehen, das bei Kindern häufig auch mit einem gewissen Spaßfaktor verbunden ist.
Ursachenbezogenes Handeln für langfristige Lösungen
Selbstverständlich lösen diese Empfehlungen nicht die akute Belastungssituation in Kinderkliniken. Was das angeht, ist zu hoffen, dass den politischen Versprechungen schnelle Unterstützungen folgen, die tatsächlich dazu beitragen, dass baldmöglichst wieder alle schwer erkrankten Kinder zeit- und wohnortnah gut versorgt werden können. Das ist im Allgemeinen schwierig, da sich ein von Finanzdruck und Personalmangel gezeichnetes Gesundheitssystem durch Einmalzahlungen nicht von heute auf morgen kurieren lässt.
Darüber hinaus und insbesondere im Hinblick auf eine langfristige Entspannung der Situation, ist es notwendig, die Ursachen für diese schwere Erkrankungswelle aufzudecken und zu bearbeiten. Dr. Max Otto Bruker formulierte: „Nur eine Behandlung, die die Ursachen berücksichtigt, ist eine Heilbehandlung“.[9] Das mag auf kranke Kinder ebenso zutreffen, wie auf die „Krankheit“ einer einseitigen Corona-Politik und die grundsätzlichen „Krankheiten“ unseres unter ökonomischen Zwängen leidenden Gesundheitssystems.
[1] GrippeWeb-Wochenbericht. Kalenderwoche 49 (05.12. bis 11.12.2022)
https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Sentinel/Grippeweb/grippeweb_ergebnisse_node.html;#doc15368638bodyText1
[2] https://www.focus.de/gesundheit/news/versorgung-in-gefahr-grafiken-erklaeren-die-aktuelle-kinderklinik-katastrophe_id_180441067.html
[3] „Die Sicherheit unserer Patienten ist in Gefahr“, DER SPIEGEL Nr. 50 / 10.12.2022
[4] „Warum kollabieren die Kinderkliniken wegen einer Erkältungswelle?“, STERN, 08.12.2022
[5] „Die Sicherheit unserer Patienten ist in Gefahr“, DER SPIEGEL Nr. 50 / 10.12.2022
[6] „Naturheilkunde – Richtige und erfolgreiche Anwendung zu Hause“, Dr. Max Otto Bruker/Ilse Gutjahr, emu-Verlag, S. 290
[7] Ausführliche Informationen unter www.gesundheitsberater.de/gesund-durch-richtige-ernaehrung/
[8] Informationen zur genauen Durchführung von Dr. med. Jürgen Birmanns unter www.gesundheitsberater.de/ganzwaschungen-kneipp-anwendung-zur-staerkung-des-immunsystems/
[9] „Naturheilkunde – Richtige und erfolgreiche Anwendung zu Hause“, Dr. Max Otto Bruker/Ilse Gutjahr, emu-Verlag, S. 290