Hausgrillen in Nahrungsmitteln?

Aktuell stößt man in verschiedenen Online- und gedruckten Medien auf ein Thema, das manchen im ersten Augenblick wie ein schlechter Scherz erscheinen mag. So titelte die Rhein-Lahn-Zeitung am 24. Januar 2023: „Ob das schmeckt? Neue EU-Verordnung für Hausgrillen.“[1] In dem dazugehörigen Bericht ist von Grillen die Rede, die künftig in unterschiedlichen Darreichungsformen Nahrungsmitteln zugesetzt werden dürften.

Verordnung der Europäischen Kommission

Die Berichte beziehen sich auf eine Durchführungsverordnung der Europäischen Kommission vom 03. Januar 2023. Darin wurde einem Antrag des Unternehmens Cricket One Co. Ldt stattgegeben, das bereits am 24. Juli 2019 um die Genehmigung der Verwendung von teilweise entfettetem Pulver aus der sogenannten Hausgrille in Nahrungsmitteln ersuchte. Das Hausgrillen-Pulver darf demnach seit dem 24. Januar 2023 in „Mehrkornbrot und -brötchen, Crackern und Brotstangen, Getreideriegeln, trockenen Vormischungen für Backwaren, Keksen, trockenen gefüllten und ungefüllten Erzeugnissen aus Teigwaren, Soßen, verarbeiteten Kartoffelerzeugnissen, Gerichten auf Basis von Leguminosen und Gemüse, Pizza, Erzeugnissen aus Teigwaren, Molkenpulver, Fleischanalogen, Suppen und Suppenkonzentraten oder -pulver, Snacks auf Maismehlbasis, bierähnlichen Getränken, Schokoladenerzeugnissen, Nüssen und Ölsaaten, Snacks außer Chips sowie Fleischzubereitungen“[2] enthalten sein.

Entscheidungsgrundlage nicht einsehbar

Die Prüfung des Antrags erfolgte auf der Grundlage wissenschaftlicher Studien, welche Cricket One Co. Ldt der EU-Kommission zur Verfügung gestellt habe. Darin würden neben dem Herstellungsprozess Ergebnisse verschiedener Untersuchungen erläutert, etwa zu einer möglichen Kontamination, mikrobiologischen Parametern und zur Proteinverdaulichkeit. Diese seien von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) geprüft und für ausreichend befunden worden. Einsehen lassen sich diese Studien jedoch nicht. Zeitgleich zu ihrem Antrag auf die Zulassung des Extrakts aus Hausgrillen reichte die Firma einen Antrag auf den „Schutz“ ihrer eigentumsrechtlich geschützten Studien und Daten ein. Somit kann weder der genaue Herstellungsprozess noch die weitere Grundlage für die Entscheidung der EU-Kommission im Detail nachvollzogen werden. Zugleich wurde daraus resultierend festgelegt, dass für eine Dauer von fünf Jahren ausschließlich das Unternehmen Cricket One Co. Ldt das Hausgrillen-Pulver in Verkehr bringen dürfe, es sei denn ein anderes Unternehmen würde einen separaten Antrag stellen, der auf eigene wissenschaftliche Daten gestützt sei.

Der Herstellungsprozess

Wie das Extrakt gewonnen wird, wird von der EU-Kommission nur grob wiedergegeben. Es handele sich um ein teilweise entfettetes Pulver aus ganzen Hausgrillen. Vor der Verarbeitung würde den Grillen 24 Stunden lang jegliches Futter entzogen, damit sie ihren Darminhalt abgeben könnten. Danach würden sie durch Gefrieren abgetötet und anschließend gewaschen, mit Hitze behandelt und getrocknet. Schließlich erfolge noch eine Ölextraktion und ein Vermahlen, um das abschließende Pulver zu erhalten. Dieses kann den oben genannten Nahrungsmitteln in unterschiedlicher Menge zugesetzt werden. So dürften beispielsweise Mehrkornbrot oder -brötchen maximal 2 pro 100 g enthalten, Getreideriegel 3 g, Snacks auf Maismehlbasis 4 g und Fleischanaloge sowie Snacks 5 g.

Bedenken des Verbraucherschutzes

In der Zutatenliste des entsprechenden Nahrungsmittels muss das Extrakt aufgeführt werden und zwar mit der Bezeichnung „Teilweise entfettetes Pulver aus Acheta domesticus (Hausgrille)“. Der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen reicht das nicht aus. Sie fordert, dass Insekten oder Bestandteile aus Insekten in Zutatenlisten hervorgehoben werden müssten, etwa durch Fettdruck oder Großschreibung.[3] Denn was sich in der Prüfung der eingereichten Studien durch die EFSA gezeigt hat, ist, dass das Pulver allergische Reaktionen bei Personen auslösen kann, die gegen Krebstiere, Weichtiere und Hausstaubmilben allergisch sind. Bislang muss ein dahingehender Hinweis nur in der Nähe der Zutatenliste genannt werden.

Darüber hinaus fordert die Verbraucherzentrale ausführliche und insbesondere unabhängige Studien zu gesundheitlichen Aspekten, Hygiene, Krankheiten, Umweltfaktoren und Tierschutz sowie verbindliche Hygienevorschriften für die Produktion und Fütterung von Insekten, insbesondere im Hinblick auf mögliche Rückstände von Antibiotika oder Hormonen.

Hausgrillen in vegetarischen oder veganen Nahrungsmitteln

Zu der Frage, ob Insektenpulver auch in vegetarischen oder veganen Speisen eingesetzt werden könnte, äußert sich die Verbraucherzentrale etwas vage. Ein Beschluss der Verbraucherschutzminister der Bundesländer von 2016 schreibe vor, dass als vegan oder vegetarisch gekennzeichnete Speisen keine Zutaten tierischen Ursprungs enthalten dürften. Das Pulver solle daher nicht in veganen oder vegetarischen Nahrungsmitteln zu finden sein. Eine rechtsverbindliche Definition der Begriffe „vegan“ und „vegetarisch“ gebe es jedoch nicht.

Ein Problem, das dabei nicht thematisiert wird, ist, dass die Beimischung des Pulvers in zahlreiche Produkte zugelassen wurde, die per se als vegan oder vegetarisch gelten. Die meisten Menschen gehen davon aus, dass Brot und Brötchen, Kekse, Nüsse oder insbesondere Fleisch-Ersatzprodukte grundsätzlich zumindest vegetarisch sind. Auch ohne eine spezielle Kennzeichnung als „vegan“ oder „vegetarisch“ würden sie beim Verzehr derartiger Produkte nicht damit rechnen, Tiere zu essen. Demnach kann durchaus eine gewisse Verbraucher-Täuschung stattfinden. Insbesondere, da es Situationen gibt, in denen es unüblich ist, eine Zutatenliste zu studieren, etwa wenn das entsprechende Nahrungsmittel nicht im Supermarkt, sondern beispielsweise bei einem Bäcker oder in einem Café erworben wird oder einem Gericht im Restaurant beigefügt wurde.

Hochverarbeitete Präparate

Letztendlich beschreibt die Zulassung des Grillen-Pulvers als Nahrungsmittelzusatz nur einmal mehr, wie sehr unsere Gesellschaft tierische Lebewesen als Produkte betrachtet[4] und wie weit die tägliche Ernährung von ihrem natürlichen Ursprung entfernt ist. In ihrer Verordnung beschreibt die EU-Kommission das Pulver als „neuartiges Lebensmittel“. Neuartig mag es durchaus sein, doch als Lebensmittel würden wir es nicht bezeichnen. Prof. Dr. Werner Kollath unterteilte die Nahrung je nach dem Grad ihrer Verarbeitung in sechs Gruppen. Pflanzliche und tierische Erzeugnisse, die entweder gar nicht, oder aber lediglich mechanisch oder fermentativ verarbeitet wurden, sind ihm zufolge Lebensmittel – sie enthalten noch sogenannte native, also lebendige und biologisch wirksame Enzyme (Fermente). Werden diese Lebensmittel jedoch durch Erhitzung, Konservierung oder Präparierung weiterverarbeitet und damit die in ihnen enthaltenen Enzyme denaturiert, sollte nicht mehr von Lebens- sondern von Nahrungsmitteln gesprochen werden.

Nach Prof. Kollath sind all die von der EU-Kommission aufgezählten Nahrungsmittel, die nun Hausgrillen-Pulver enthalten dürfen, in die ungünstigste Kategorie der Nahrung einzuordnen: Es handelt sich um hochverarbeitete Präparate, die weder in ihrer Form noch in ihrer Wirkung auf unseren Körper sonderlich viel mit den ursprünglichen, naturbelassenen Lebensmitteln zu tun haben, aus denen sie fabrikatorisch hergestellt wurden. Die Verwendung von Hausgrillen-Pulver in Nahrungsmitteln ist daher nicht nur ungewohnt und tierethisch verwerflich, sondern auch aus gesundheitlicher Sicht unsinnig.

Nachhaltigkeit als Verkaufsargument

Letzteres scheint die im Jahr 2017 gegründete Cricket One Co. Ltd (Cricket = engl. für Grille) gänzlich anders zu sehen. Ihre Webseiten-Besucher, von denen sie im Moment sicherlich ungewohnt viele hat, begrüßt sie mit dem Slogan „Cricket One – Classic Protein for a Modern World“. Und nicht nur zu einer modernen Welt trage die Firma durch ihre Grillen-„Produktion“ und -Verarbeitung angeblich bei, sondern auch zu einer nachhaltigen. Das Grillen-Protein sei ernährungsphysiologisch effizienter, leistungsfähig und vollwertig – und das, ohne dem Planeten zu schaden. Damit bekämpfe das Unternehmen Armut, Hunger und den Klimawandel.

Zugrunde liegt dieser Marketingstrategie die wissenschaftlich nicht haltbare Annahme, es seien in erheblichem Maße tierische Eiweiße notwendig, um die Ernährung der Weltbevölkerung sicherzustellen. Diese weit verbreitete These ist gleich in zweierlei Hinsicht falsch. Erstens muss für eine gesunde Entwicklung und Gesunderhaltung nur ein kleiner Teil der Nahrung aus Eiweißen bestehen. Das beste Beispiel, an dem sich das nachvollziehen lässt, ist die Muttermilch. Mit einem Eiweißgehalt von gerade einmal 1,4 bis 2,5 Prozent ermöglicht sie es einem Säugling, sein Gewicht innerhalb des ersten Lebensjahres zu verdreifachen. Zweitens ist es nicht notwendig, tierische Proteine zu sich zu nehmen – der Eiweißbedarf des Menschen kann vollständig aus pflanzlichen Lebensmitteln gedeckt werden.[5]

Ein tragisches Kapitel menschlicher Geschichte

Im Widerspruch zu den oben genannten Verkaufsargumenten sind pflanzliche Eiweiße tierischen aus gesundheitlicher Sicht sogar vorzuziehen. Während tierische Eiweiße fast ausschließlich – und so auch im Sinne des Grillen-Proteins – denaturiert aufgenommen werden (beispielsweise durch erhitztes Muskelfleisch, Fisch oder ebenfalls erhitzte tierische Produkte wie Eier, Quark, Joghurt, Käse oder Milch), können pflanzliche Eiweiße in Form vielfältig gestaltbarer Frischkost-Variationen auch in erheblich größerem Maße in ihrer nativen, lebendigen Form genossen werden. Native Eiweiße in Form von Enzymen bzw. Fermenten stellen die wichtigste Gruppe der Vitalstoffe dar und tragen damit unerlässlich zu unserer Gesunderhaltung bei. Außerdem ist zu beachten, dass es für Menschen mit bestimmten Erkrankungen von Vorteil sein kann, tierische Eiweiße zu meiden. Dazu zählen beispielsweise Allergien, Erkrankungen der Bewegungsorgane oder eine erhöhte Infektanfälligkeit.[6]

Anstatt also auf seltsam anmutende Nahrungszusätze wie Insektenpulver zu setzen, wäre es in Wirklichkeit eine Rückbesinnung auf eine natürliche, überwiegend pflanzliche Kost, die zu einer Bekämpfung des Welthungers sowie zum Schutz unserer Umwelt und unserer Gesundheit beitragen würde. Dr. Max Otto Bruker formulierte einmal: „Es ist ein tragisches Kapitel menschlicher Geschichte, dass der Mensch sich so weit hat beeinflussen lassen, dass er der Nahrung umso mehr traut, je unnatürlicher und künstlicher sie ist“.[7]

Wir können Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, also nur empfehlen, Nahrungsmittel mit Hausgrillen-Pulver und auch sonstige industriell hergestellte Produkte mit oft langen und unübersichtlichen Zutatenlisten (künftig) in den Regalen Ihres Supermarktes stehen zu lassen und sich stattdessen durch eine selbst zubereitete, naturbelassene Ernährung mit reichlich Frischkost etwas Gutes zu tun. Die Natur hat keine Lobby und dennoch gibt sie uns alles, was wir für eine gesunde, abwechslungsreiche und genussvolle Ernährung benötigen.

 

 

[1] Rhein-Lahn-Zeitung vom 24.01.2023, S. 1

[2] DURCHFÜHRUNGSVERORDNUNG (EU) 2023/5 DER KOMMISSION vom 3. Januar 2023 zur Genehmigung des Inverkehrbringens von teilweise entfettetem Pulver aus Acheta domesticus (Hausgrille) als neuartiges Lebensmittel und zur Änderung der Durchführungsverordnung (EU) 2017/2470

[3] Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfahlen, „Grillen-Pulver als neues Lebensmittel“ auf www.verbraucherzentrale.nrw, 24.01.2023

[4] Auf der einen Seite werden Grillen zu Weiterverarbeitungszwecken „produziert“, auf der anderen verzeichnen wir in der heutigen Zeit ein Insektensterben nie dagewesenen Ausmaßes, s. Süddeutsche Zeitung vom 25.01.23, Nr. 20, „Bestäuber gesucht“, Thomas Krumenacker

[5] Dr. Max Otto Bruker, „Unsere Nahrung – unser Schicksal“, 51. Aufl. 2019, S. 217 f.

[6] Dr. Max Otto Bruker, Kleinschrift Nr. 10, „Gesund durch richtige Ernährung“, S. 11

[7] „90 Jahre – Dr. med. Max Otto Bruker“, S. 50