Koffein aus der Dose »Energydrinks« – der falsche Kick

Sie heißen »Red Bull«, »Effect«, »Rockstar« oder »Flying Power«. Sie verleihen angeblich Flügel und Sie versprechen besonders Jugendlichen den Kick. Dabei sind sie gesundheitlich gefährlich. Mit dem energetischen Teufelswasser nehmen die Kids nämlich große Mengen Koffein zu sich. Herzrasen, Bluthochdruck, Zittern, Übelkeit und Erbrechen sind die Folgen. Inzwischen gibt es bereits die ersten Toten. Die Weltgesundheitsorganisation und Foodwatch fordern, den Verkauf an Minderjährige einzuschränken. Verbieten wäre besser. Endlich wachen auch die Medien wie SPIEGEL, der STERN, FOCUS auf und berichten.

Der SPIEGEL (33/2015) berichtet von dem 23-jährigen Grafiker Jonas, der im September 2013 mit einem plötzlichen Herzstillstand auf einem Bolzplatz in Nordrhein-Westfalen lag: »Jonas’ Freundin versuchte, ihn wiederzubeleben. Sanitäter jagten Elektroschocks durch seinen Körper, fünfmal ließen sie ihn hochschnellen. Noch auf dem Rasen fragte einer der Rettungsmediziner: ›Hat er Energydrinks getrunken?‹. Ja, hatte er. Insgesamt zweieinhalb Liter.« Jonas wurde ins künstliche Koma versetzt. Er überlebte. Sein Kardiologe diagnostizierte die Ursache seines Herzstillstandes: »Dafür gibt es nur eine erkennbare Ursache: diese Drinks.«

Entzugserscheinungen

Ein Liter Energydrink entspricht etwa vier Tassen Bohnenkaffee. Das Koffein belastet jedoch Herz und Kreislauf und täuscht Leistungssteigerungen vor. Dr. Max Otto Bruker betont in seiner Kleinschrift Vom Kaffee und seinen Wirkungen, »dass die Genussgifte, insbesondere Tabak und Koffein, außer der langdauernden Schädigung des vegetativen Nervensystems eine verheerende Wirkung ausüben, indem sie das physiologische Ermüdungsgefühl beseitigen bzw. darüber hinwegtäuschen und auf diese Weise die kompensatorische Entspannung vom Nervensystem und Kreislaufapparat verhindern«. Gefäßaktive Stoffe wie das Koffein erzeugen Unruhe im Gefäßsystem. Exakt deshalb warnt der SPIEGEL: »Aus diesem Grund sollten Kinder und Jugendliche keinen Kaffee trinken. Welches Kind mag schon heißen, bitteren Kaffee? Energydrinks dagegen sind kalt und so stark gesüßt, dass der herbe Koffeingeschmack übertüncht wird.« Zusätzlich schlucken sie mit jeder Dosis den Vitamin-B1-Räuber Fabrikzucker.

Geschäftlich handelt es sich um gewaltige Summen. So macht der Energydrink-Marktführer Red Bull, der die Jugendlichen auch mit Sportwerbung anlockt, einen Umsatz von weltweit 5,1 Milliarden Euro. 17 Prozent aller jugendlichen deutschen Konsumenten trinken im Schnitt ein Liter Energydrinks pro Anlass. 61 Prozent mixen Energydrinks mit Alkohol, gemäß einer Studie der Europäischen Nahrungsmittelsicherheitsbehörde EFSA. Bei regelmäßigem Kaffeekonsum, auch über Energydrinks, gewöhnt sich der Körper an die Substanz. Ohne das Koffein treten Entzugserscheinungen auf: Kopfschmerzen, Müdigkeit, Zittern. »Es gibt immer mehr jüngere Kinder, sogar schon Zehnjährige, die regelmäßig Energydrinks konsumieren und dann vom Koffein abhängig werden«, registriert der Arzt Roland Bingisser, Chef der Notaufnahme an der Uni-Klinik in Basel: »Die Entzugssymptome bei Kindern zu erkennen, ist nicht einfach: Ist es ein Zappelphilipp oder ist das Kind unruhig, weil ihm Koffein fehlt?«

Freies Angebot für Kinder

Dürfen Kinder überhaupt Energydrinks kaufen? Aber ja! Stern TV schickte 2015 in einem Test die elfjährigen Mädchen Nina und Tomke mit versteckter Kamera in die Supermärkte. Sie hatten dort die Wahl zwischen mehr als zehn verschiedenen Produkten. An der Kasse reagierte niemand. Die Kinder erwarben problemlos zwanzig Dosen, obwohl auf den Dosen der Warnhinweis steht: »Nicht empfohlen für Kinder, Schwangere, stillende Frauen oder koffeinempfindliche Menschen. Aufgrund des hohen Koffeininhaltes nur in verantwortungsbewussten Mengen verzehren. Nicht mit Alkohol mischen. Verantwortungsvoll konsumieren.« In Litauen hat der Staat den Verkauf von Energydrinks an Minderjährige verboten. Verstöße werden mit Bußgeld geahndet.

Soweit sind wir hier noch lange nicht. Im Gegenteil, die Getränkeindustrie verdient sich an dem Kick aus der Dose eine goldene Nase. Der SPIEGEL: »›Die Industrie verhält sich wie ein legaler Dealer, die gesundheitlichen Folgen trägt der Konsument‹, sagt ein Experte der Gesellschaft für Klinische Toxikologie. Die Konzerne würden sich nicht einmal die Mühe machen, zu Folgewirkungen und -schäden zu forschen. ›Keiner von denen übernimmt die Verantwortung dafür, dass denen, die ihre Getränke konsumieren, nichts passiert.‹ Was, wenn ein Jugendlicher, eine Herz-Kreislauf-Schwäche hat und nichts davon weiß?«

Schätzungsweise 15 Prozent der Jugendlichen, berichtet das Hamburger Magazin, »hätten ›unerkannten Bluthochdruck‹, laut dem Göttinger Kinderkardiologen Martin Hulpke-Wette: ›Von den möglichen Nieren- und Nervenschäden abgesehen: Wenn diese Patienten dauerhaft Energydrinks konsumieren, kommen sie mit fünfzig nicht mehr die Treppe hoch.‹ Deren Herz sei so verdickt, dass sich das Blut in der Lunge zurückstaue. ›Ihnen bleibt schlicht die Luft weg.‹«

Verbot und Aufklärung!

Das Familienministerium lehnt ein Verbot der Energydrinks bei der Neuauflage des Jugendschutzgesetzes ab. Ihr Sprecher gab bekannt: »Hierzu gibt der gegenwärtige Forschungsstand keine Veranlassung.« Der Bundesernährungsminister Christian Schmidt (CSU) formulierte 2015 eine unterwürfige Bitte an die Industrie: »Ich würde es begrüßen, wenn Hersteller und Handel diese Produkte aus Gründen des vorsorgenden Verbraucherschutzes aus ihrem Sortiment nehmen würden«. Da lachen ja die Hühner. Kein Unternehmen ist seinem sanften Wunsch gefolgt. Freiwillige Selbstbeschränkung der Wirtschaft laufen ins Leere. Nicht einmal der regierungsamtliche »Wunsch« nach einer Frauenquote in den Konzernvorständen wurde bislang erfüllt. Die verbraucherpolitische Sprecherin der GRÜNEN, Nicole Maisch, nahm den butterweichen Bundesernährungsminister Schmidt mit den Worten ins Visier: »Diese Drinks sind keine harmlosen Limonaden, und diese Warnhinweise doch ein Witz.« Nachdem in den USA fünf Todesfälle mit dem Genuss von Energydrinks in Verbindung gebracht wurden, untersucht die Food and Drug Administration die Zubereitung und erwägt ein Verbot. Das Ergebnis liegt noch nicht vor.

Der Kinderkardiologe Norbert Smetak, Vorsitzender des Bundesverbandes Niedergelassener Kardiologen, berichtete dem SPIEGEL: »Junge Menschen, die über Herzrasen klagen, tauchen sehr häufig bei mir auf. Sie trinken 4, 5 Dosen am Tag, um fit fürs Studium zu sein, bringen ihre Beschwerden aber damit nicht in Verbindung.« Folgten sie seinem Therapieratschlag, auf den Energydrink zu verzichten, verschwinde die Tachykardie innerhalb kürzester Zeit. In diesem Sinn nahm Dr. Bruker in der Kaffeeschrift seine ärztlichen Kollegen energisch in die Pflicht: »Bei Diskussionen für das Für und Wider des Kaffees wird häufig die Ansicht vertreten, es sei völlig aussichtslos, dem Kranken den Rat zu geben, das Genussmittel aufzugeben; denn er tue es ja doch nicht. Demgegenüber bin ich der Ansicht, dass es die Pflicht des Arztes ist, den Kranken über die Zusammenhänge aufzuklären, unabhängig davon, ob der Kranke den Rat nachher befolgen wird oder nicht.« Das Gleiche gilt auch für die Energydrinks.