Die Geschichten hinter dem Lockdown Nr. 02: „Es war erdrückend“

Anonymer Erfahrungsbericht – Der Name ist der Redaktion bekannt

Ich wohne in Frankreich. Dort begannen die Ausgangssperren mittags am 17. März 2020, zwei Tage vor meinem vierzigsten Geburtstag. „Nicht so schlimm“, dachte ich mir, denn aus Geburtstagen mache ich mir eh nicht viel und normalerweise fahre ich weg, um dem Ansturm der Leute zu entgehen.

Eigentlich wollte ich dieses Jahr mit meiner besten Freundin nach Island, aber daraus ist dann nichts geworden, da die Renovierung meiner Wohnung doch teurer war als gedacht. Nun saß ich also allein zuhause an meinem 40. Meine beste Freundin hat mich abends per Skype angerufen und wir haben sozusagen virtuell trotzdem zusammen gefeiert, dann rief noch meine Schwester und Familie an und es war eine ganz gesellige Runde.

Der Passierschein

In Frankreich waren die Ausgangssperren sehr streng. Man durfte keinen anderen Personen treffen, die nicht im selben Haushalt wohnen. Da ich allein lebe, habe ich deshalb meine Freunde über zwei Monate lang nicht sehen können. Wenn man das Haus oder die Wohnung verlassen wollte, brauchte es einen wichtigen Grund (Arztbesuch, Pflege von Familienangehörigen, Arbeit, Einkaufen von Lebensmitteln). Man musste eine Art Passierschein bei sich tragen, den man im Internet herunterladen konnte.

Sport treiben durfte man auch, allerdings nur mit den Hunden Gassi gehen oder Laufen. Radfahren, Inlineskaten etc. waren wegen dem Verletzungsrisiko verboten. Man durfte sich nicht weiter als einen Kilometer von der Wohnung entfernen. Eine Stunde pro Tag war gestattet. Zweimal wurde ich gleich am Anfang kontrolliert.

Sozialleben im Winterschlaf

Da ich sowieso von zuhause aus arbeite, änderte sich nicht viel für mich. Im Gegenteil, endlich wurde es mehr wertgeschätzt, dass diese Art der Arbeit tatsächlich auch gut funktioniert.

Nach zwei Wochen kam mir der Gedanke, dass es die perfekte Zeit zum Fasten wäre. Das soziale Leben war gerade eh im Winterschlaf und es kehrte eine Ruhe ein, selbst auf der Hauptverkehrsstraße vor meiner Tür. Ich faste mehr oder weniger regelmäßig schon seit 17 Jahren, es war also nichts Neues für mich. Aber dieses Mal war es anders. Die Isolation hat mir sehr zugesetzt. Es war erdrückend. Und als der Präsident kurz vor Ablauf der ersten vier Wochen ankündigte, dass die Ausgangssperren noch weitere vier Wochen verlängert würden, habe ich angefangen zu weinen.

Wie ein Gefängnis

Die Renovierung meiner Wohnung konnte nicht voranschreiten, der Umzug war auf unbestimmte Zeit verschoben, ich hatte meine Freunde seit über einem Monat nicht gesehen, fühlte mich sehr allein und ich durfte täglich nur eine Stunde raus gehen. Für mich, die sehr viel Zeit an der frischen Luft verbringt, viel Rad fährt, wandert und schwimmt, war es wie ein Gefängnis.

Ich fing also mit dem Laufen an. Jeden Morgen um 6 Uhr bin ich aufgestanden und eine Stunde joggen gegangen. Auf dem Rückweg habe ich dann immer meine Beine im See abgekühlt. Das war der schönste Moment des ganzen Tages, jeden Tag. Dann ging es zurück in den Alltag. Jeder Tag verlief sehr ähnlich und selbst das Wochenende unterschied sich nicht vom Rest der Woche. Es war ein Einheitsgrau, welches sich unsäglich hinzog. Selbst die Online-Meetings mit Freunden waren mittlerweile alle eingeschlafen.

Die neu gewonnene Freiheit

Und dann, am 11. Mai, kam die Lockerung. Was für eine Erleichterung, ohne Passierschein rausgehen zu dürfen und sich dort länger als eine Stunde aufhalten zu dürfen. Ich bin gleich am folgenden Wochenende auf den nächsten Berg gekraxelt und habe meine neu gewonnene Freiheit so dermaßen genossen. Wir wissen gar nicht, wie gut wir es sonst immer hatten.

Mittlerweile wohne ich in meiner neuen Wohnung, habe meine Freunde wiedergesehen und statt Geburtstag haben wir im Juli meinen Namenstag gefeiert.