Die Geschichten hinter dem Lockdown Nr. 14: „Eine trügerische Ruhe“

Anonymer Erfahrungsbericht – Der Name ist der Redaktion bekannt

Es war ein sehr schöner sommerlicher Tag. Ich ging durch die Stadt und genoss es. Kaum Autos, alles ruhig, auf einer Bank im Park in den Himmel schauend, an dem kein Flugzeug flog. Ich empfand es als angenehm und dachte, kann es nicht immer so sein… Aber gleichzeitig kam ein Gefühl eines ungeheuerlichen Unwohlseins in mir auf. Es war eine trügerische Ruhe, sie war aufgezwungen und verordnet und schon stieg in mir meine eigene Wut auf.

Verbotene Nähe

Seitens der Regierung war mir verboten worden, als Oma den Kontakt zu meinen Enkeln zu haben, verbotenerweise habe ich dennoch regelmäßig wöchentlich an zwei bis drei Tagen meine Enkel besucht und betreut. Die junge Familie hätte es ohne die Oma nicht geschafft… mein Sohn selbständig und meine Schwiegertochter im Studium der Medizin.

Als betreuende Oma wurde ich von anderen Menschen beschimpft und auch ausgegrenzt. Wie schön, wenn ich dann im Wald, in der Natur mit meinen Enkeln viele andere Großeltern mit ihren Enkeln traf.

Bei Treffen mit Freundinnen herrschte erst einmal Unsicherheit: Dürfen wir uns zur Begrüßung umarmen? Muss ich meine Emotionen unterdrücken? Bei einem Spaziergang weinte meine Freundin, natürlich nahmen wir uns in den Arm und es gab Trost und Nähe.

Eine entseelte Gesellschaft

Ich habe mich nur noch mit Menschen getroffen, welche zu einem ganz normalen Umgang bereit waren und sind. Wie viele Menschen leben als Singles und wie wichtig ist doch der Kontakt zu Menschen, die körperliche Nähe, die Umarmung, das Drücken und auch einmal richtig knuddeln. Das sollte nun verboten sein? Für mich nicht, aber ich kenne einige, welche sehr depressiv wurden, sich schon nach kurzer Zeit isoliert fühlten, weinten und große Ängste entwickelten.

An Ostern trafen wir uns als vier Freundinnen zum Spargelessen, doch lieber nicht in den Garten gehen, innen bleiben. Die Nachbarn denunzieren. In welcher Welt leben wir?

Ich habe nie Angst vor dem Virus gehabt, aber ich habe Angst, dass unsere Gesellschaft eine, ich nenne es, „entseelte“ wird.