Die Geschichten hinter dem Lockdown Nr. 17: „Ein schlechter Scherz“

Anonymer Erfahrungsbericht – Der Name ist der Redaktion bekannt

Als Kinderkrankenschwester und Gesundheitsberaterin GGB e.V. hatte ich bei Beginn dieses „schlechten Theaterstücks“ noch nur den Kopf geschüttelt und gedacht, dass das ein Irrtum sein müsse, der bald aufgeklärt sein würde. Mir selbst war von Anfang an klar, dass da etwas nicht stimmen konnte. Zu Beginn des Lockdowns dachten wir an einen schlechten Scherz, schon bald stellten sich mehr und mehr Schwierigkeiten ein, mit Mitmenschen um uns herum und bei der Arbeit vernünftig und sachlich darüber zu reden.

Natur als Zufluchtsort

Das Virus wurde schnell bei vielen zu einer Bedrohung, die den Verstand auszuschalten schien, leider teils auch in der eigenen weiteren Familie. Die Kern-Familie war der einzige Ort, wo man in einem recht vernünftigen Maße damit umging. Mein Mann und ich hielten uns nicht an Vorgaben, obwohl wir ja zu den „Gefährdeten“ gehörten und hielten den Kontakt zu unseren Kindern und Enkeln. Wir nutzten die Zeit, um dem Wahnsinn in der Natur zu entkommen. In der Natur ging ja alles seinen Lauf, völlig unberührt von den Geschehnissen. Wir fuhren viel Rad in die Gegend und auch über die Grenze zu den Niederlanden und genossen die Ruhe in der Natur. Doch war es gespenstisch, wenn wir durch Ortschaften kamen, die wie ausgestorben wirkten, wo sonst bei dem schönen Wetter buntes Treiben auf den Straßen und Plätzen herrschte, die Arbeit auf den Feldern stattfand, aber jetzt alles gähnend leer da lag.

Ich unternahm einige Nachtausflüge, um unseren klaren und wunderschönen Sternenhimmel zu bewundern. Mein ältester Sohn ist Hobbyfotograf und machte wunderbare Aufnahmen vom Nachthimmel, der wegen des Lockdowns ungetrübt über uns erstrahlte, da es keinen Flugverkehr gab und auch der Autoverkehr nur ganz minimal vorhanden war. Überhaupt genossen wir am Niederrhein die himmlische Ruhe und deutlich sauberere Luft, sowohl unterwegs als auch im eigenen Garten. Es ist eine Wohltat, nur noch Naturgeräusche wahrnehmen zu dürfen.

Entlastung der Kinder und Enkel

Aber wir sind auch glückliche Großeltern von drei kleinen Jungs (6, 3 und bald 1 Jahr). Die junge Familie traf der Lockdown durchaus heftig. Selbstverständlich haben wir die Familie entlastet und die Enkel mehr als sonst bei uns gehabt, als Kindergärten, Musikschule und Betreuungseinrichtungen schlossen, Spielplätze nicht mehr aufgesucht werden konnten und keine Freunde mehr für Treffen zur Verfügung standen. Auch wenn drei Geschwister schon bessergestellt sind als ein Einzelkind in dieser Situation, war es für die Kinder eine völlig unbegreifliche und verunsichernde Situation, die aufgefangen sein wollte. Dabei ging es unserer Familie noch gut, hatten wir doch zueinander ein gutes Verhältnis und gute Möglichkeiten, sowohl wohnlich, sozial, menschlich als auch materiell. Die junge Familie wohnt zum Glück, wenn auch in einer kleinen Wohnung, so doch am Rande eines großen Waldgebiets, das in dieser Zeit noch mehr als sonst Ausflugsziel wurde. Begegneten die Kinder zufällig im Wald Freunden mit ihren Eltern, rissen diese ihre Kinder zurück und forderten Abstand ein.

Nun kann eine junge Mutter mit einem Säugling aber auch nicht den ganzen Tag mit allen 3 Kindern im Wald verbringen (der Vater arbeitet „systemrelevant“ auf der Intensivstation, die sich auf den Ansturm von Covid-19-Patienten, die von der Beatmung entwöhnt werden müssen, vorbereitete, und die bis heute ausblieben). Da er auch regelmäßig Nachtwachen machen musste, brachte die Zeit besondere Schwierigkeiten mit sich. Man kann in einer engen Wohnung nicht drei kleine Kinder so ruhigstellen, dass der Papa tags nach der Nachtwache wirklich gut schlafen kann. Daher kam es, dass unsere Tochter zeitweise mit ihren drei Kindern zu uns ins Haus zog, um ihrem Mann die verdiente Ruhe zu sichern. Das war einerseits durchaus schön, schließlich haben wir alle gerne bei uns. Andererseits ist unser Haushalt auch nicht wirklich auf so eine Wohnsituation eingerichtet. Es war eben ein Notquartier. Meine Tochter hätte in der Zeit auch lieber mehr im eigenen Haushalt geschafft. Zum Glück war das Wetter sehr schön und der Garten ein erweiterter Wohnraum, der mehr Platz bot.

Ausflüge waren dennoch auch notwendig, wofür ein Park in der Stadt genutzt wurde. Dort machten wir unterschiedliche Erfahrungen. So begegnete man an einem Wasserlauf z.B. einem Vater mit erwachsenen Töchtern, die sich nicht auf dem Weg an uns vorbei trauten und laut verlangten, dass man sich ganz an den Rand auf einen Seitenstreifen zurückzog, um dann an uns vorbei gehen zu können. Andererseits kam wiederum eine Ausflugsgruppe älterer Mitmenschen, die sich herzlich freute, auf uns zutraten und die Kinder freundlich ansprachen. Der Streichelzoo war ein willkommener Anlaufpunkt, obwohl die meisten Tiere nicht mehr draußen waren, um keine Besucher anzulocken. Blieb eine Vogelvoliere, wo unsere Jungs sich gerne aufhielten und einmal einige Schafe, die zur Belustigung unserer Enkel sich standhaft weigerten, in den Stall getrieben zu werden, sodass am Ende die Tierpfleger aufgaben.

Nichts mehr wie zuvor

Dann kam die allmähliche Öffnung der Betreuungseinrichtungen, aber anfangs durften nur Kinder systemrelevant arbeitender Eltern aufgenommen werden. Da meine Tochter in Elternzeit war, traf das nicht auf die junge Familie zu, obwohl ja der Papa sehr systemrelevant ist und die Nachtwachen-Situation Lösungen brauchte. Als es dann doch so weit war, war nichts mehr für den ältesten Enkel wie zuvor. Wie einer der vorangegangenen Berichte es schon beschreibt, Abgabe fast auf der Straße vor der Einrichtung mit Maske an eine Erzieherin, nur Verbleib im eigenen Gruppenraum, weniger Spielmöglichkeiten etc. Dazu regelmäßige Händedesinfektion vor und nach dem Essen, worüber ich mich spontan aufgeregt hatte, was der Junge mitbekam. Es gab keine besonderen Angebote für die Vorschulkinder… Unter diesen Umständen brach bei dem sonst so fröhlichen und sozialen Jungen mehrmals die Aggression durch, sodass die Eltern ihn aus der Einrichtung abholen mussten. Oma und Opa blieben die feste, sichere und geliebte Anlaufstelle und in den Ferien bald danach vereisten wir auch (Der ursprünglich herbeigesehnte Haupt-Urlaub an der Nordsee im Frühjahr mit der Großfamilie musste storniert werden, wir hatten ca. 1000 € in den Sand gesetzt, die wir nicht zurück bekamen. Die Zahlung für die Fähre konnte gutgeschrieben werden, muss aber irgendwann eingelöst werden, und wir hoffen auf das nächste Jahr.)

Es folgte die Einschulung und ich bin zunächst einmal froh, dass der Kleine noch nicht weiß, wie sonst Einschulungen ablaufen. Es durften nur die Eltern ihn nur bis auf den Hof mit Maske begleiten und mussten, nachdem die Kinder in das Gebäude gingen, wieder nach Hause gehen. Auch die Kleinen mussten auf dem Weg in die Klasse eine Maske tragen obwohl keine andere Klasse zugegen war. Wir Großeltern hüteten und versorgten währenddessen den Bruder zu Hause und brachten ihn zu seiner Tagesmutter, wo er täglich 2 Stunden verbringen durfte. Beim Abholen des Schuljungen wäre ich fast in Tränen ausgebrochen bei dem Bild, das sich mir bot. Auf dem Bürgersteig standen vor einem Baustellenflatterband die maskierten Eltern und warteten mit den Schultüten darauf, dass die Kinder herauskamen. Zunächst kam die maskierte Lehrerin und sprach noch einige klärende Dinge zu den Eltern, bevor die Kinder einzeln mit Maske aus dem Gebäude kamen und zu den Eltern hinter dem Flatterband liefen. Wirklich glücklich sah kein Kind aus.

Wenn ich bedenke, dass in unserem Land verglichen mit anderen alles relativ besser abgelaufen ist, dann möchte ich eigentlich nur schreien und alle wach schütteln.