Tages Arbeit! Abends Gäste! Saure Wochen! Frohe Feste!

Ohne Arbeit keine Feste. Keine Feste ohne Arbeit. Arbeiten und feiern macht die Dialektik des Lebens aus. Mein Glück zu finden und zu realisieren heißt zunächst einmal, meinen Platz in dieser Welt als homo faber, als arbeitender, gestaltender Mensch zu finden. Durch das Schöpferische meiner Arbeit erhebe ich mich über die bloße Natur. Ich trete mit ihr in einen schöpferischen Dialog. Indem ich gestalte, helfe ich, eine ursprünglich unwirtliche Welt bewohnbar zu machen. Ich begreife und vermenschliche die Natur. In meiner schöpferischen Arbeit mache ich mich zugleich für andere sichtbar und wertvoll. Ich gehe im Arbeitsprozess Beziehungen zu anderen Menschen ein. Ich forme und ich werde geformt. Dabei ist mein Leben kein starres Programm, sondern es fließt. Es ist immer wieder offen, aufregend, anstrengend, herausfordernd. Andererseits ist Müßiggang nicht aller Laster Anfang. Arbeit ist nicht das höchste Maß aller Dinge. Braucht Arbeit nicht den Gegenpol der Ruhe? Brauchen Kräfteverschleiß und Stress nicht den Gegenpol der Belohnung, der Entspannung und des Feierns? Die gebildeten Menschen der Antike kannten den Begriff des otium cum dignitate, der Muße mit Würde. Werde ich maßlos, degeneriere ich zum workaholic. Ich gerate, modern gesprochen, in Burnout und Depression. Ermüdung und Erschöpfung sind die ernstzunehmenden Markierungen auf meiner alltäglichen Lebensskala. Feste sind die Antidepressiva des Lebens. Gerade wir Alten sollten feiern, feiern und nochmals feiern: Dass wir noch leben. Dass wir noch oben licht und unten dicht sind. Dass wir lieben. Dass wir einen Sinn in unserem Leben gefunden haben. Dass wir ein tapferes Berufsleben leisteten. Dass wir unsere Kinder zu rechtschaffenen, warmherzigen Menschen erzogen haben. Dass wir seit Jahrzehnten Frieden und steigenden gesellschaftlichen Wohlstand genießen.

Sollten wir schlussendlich nicht unser Leben selbst in seiner Gnade und seinen Höhepunkten zum Fest machen?! Das Leben ist uns als ein Meisterstück aufgegeben. Es ist schwer genug. Daher lässt sich mit Goethes Schatzgräber sagen: »Tages Arbeit! Abends Gäste! Saure Wochen! Frohe Feste!«

Harmonie oder Kakophonie

Ohne regelmäßige Feste keine Freude. Ein Fest kann jedoch platzen wie ein Luftballon, in den man eine Nadel sticht. Das kennen wir vom Märchen Dornröschen. Das Fest war versaut. Von Anfang an. Dreizehn Gäste gab es zu bewirten. Doch die Gastgeber schlossen die dreizehnte Fee aus. Immerhin war sie eine »weise Frau«, also eine achtungsgebietende Persönlichkeit. Der Grund war wenig glaubwürdig. Der König und die Königin besaßen nur zwölf goldene Teller. Ein zusätzlicher war angeblich nicht aufzutreiben. Oder hatten die Eltern des neugeborenen Mädchens Angst vor der ominösen Zahl dreizehn? Hatten Sie unbewusste oder ungeklärte Vorbehalte gegen die dreizehnte Frau? Die kam dann doch. Prompt war sie enttäuscht. Sie wütete: »Die Königstochter soll sich in ihrem fünfzehnten Jahr an einer Spindel stechen und tot hinfallen.« Das so schön gedachte Tauffest fiel ins Wasser. Die Feier musste abrupt beendet werden. Man könnte es das »Dornröschen-Syndrom« nennen.

Feste setzen also die Festlichkeit aller Gäste voraus. Ist auch nur einer unfestlich, das heißt ist er gekränkt, so entsteht ein Störfeld. Das ist wie bei einem Orchester. Wenn auch nur ein einziger Spieler falsch spielt, so entsteht statt Harmonie eine Kakophonie. Ein Fest kann nicht erzwungen werden. Es setzt unter den Gästen Sympathie und Respekt voraus. Konfliktherde müssen zuvor gelöscht sein. Sonst wird das Fest zum Pulverfass. Die körperliche Nähe lässt die unstimmige Festgemeinschaft implodieren. Liebe kann nicht einfach befohlen werden. Der Festtagskrach ist klassisch. Besonders oft an Weihnachten, dem »Fest der Liebe«. Oh du stressige Weihnachtszeit!

Klären und feiern

Feste werden dann zum Pulverfass, wenn sie die vorhandenen Differenzen verkleistern und mit einem Zuckerguss überziehen sollen. Hier ist Klärung notwendig. Wie sagt Friedrich Hölderlin (1770 – 1843) in seinem Bildungsroman Hyperion: »Versöhnung ist mitten im Streit, und alles Getrennte findet sich wieder.«

Nicht anders geschieht es auch im biblischen Gleichnis vom verlorenen Sohn. Dieser druckst nicht herum. Er nennt vielmehr den Streitpunkt beim Namen und bittet um Verzeihung: »Vater, ich habe gesündigt vor Gott und vor dir. Ich habe es nicht verdient, weiter dein Sohn zu heißen.« Da fordert der Vater seine Bediensteten auf: »Holt schnell ein Feiertagsgewand und zieht es ihm an, steckt ihm einen Ring an den Finger und gebt ihm Sandalen. Holt das Mastkalb und schlachtet es, wir wollen ein Festmahl halten. Denn er, mein Sohn, war tot und ist wieder lebendig. Er war verloren und wurde wiedergefunden.« Und sie beginnen, ein Freudenfest zu feiern.

Das ist es. Nach der Streitklärung kann auch wieder fröhlich gearbeitet werden. Ob der glückliche Vater im Neuen Testament dem vernachlässigten älteren Sohn überhaupt einmal ein Fest geschenkt hat? Immerhin zeigt sich dieser erbittert, weil für ihn nie ein Kalb geschlachtet wurde. Liegt der ältere Sohn so falsch mit seiner Klage? Mit dem Philosophen Demokrit aus dem griechischen Abdera (470 – 380 v. u. Z.) dürfte er sich wohl zu Recht beschweren: »Ein Leben ohne Feste ist eine weite Reise ohne Gasthaus.«

Autor: Mathias Jung