Aus der Praxis: Hilfe, mein Kind isst nichts Gesundes!

Wenn Eltern in meine Sprechstunde kommen und sich über das schlechte Essverhalten ihrer Kleinen beklagen, wende ich mich instinktiv dem »traditionellen Oberhaupt« der Familie zu, dem Vater. Schon nach kurzem Gespräch stellt sich heraus, dass ein Teil vom Elternpaar ebenfalls ein »gestörtes« Essverhalten zeigt. Ich erlebe oft, dass die Väter beim Thema Essen dicht machen oder teilnahmslos der Partnerin bestätigen: »Das überlasse ich meiner Frau . . .« oder »das mit dem Essen regelt meine Frau« . . . »darum kümmert sich meine Frau, da halte ich mich raus« . . . Und genau diese Neutralität bzw. Passivität, das »sich raushalten« ist ein schwerwiegender Fehler, der bei Kindern unbewusst zu einer Unsicherheit, aber auch zu einem Triumphieren über die Mutter führt. Es gibt leider nur noch wenige Familien, die regelmäßig Tischgemeinschaft halten. Ich möchte nun nicht sentimental wirken oder die gute alte Zeit heraufbeschwören, auch habe ich als Arzt nicht das Recht, zu moralisieren. Auffallend ist nur, dass viele hektisch der Zeit hinterherrennen. Hastig wird morgens vor der Schule die Stulle in die Brotdose gepackt. Der Papa wirft einen Blick in die Tageszeitung und schlürft unruhig seine Tasse Kaffee, während Mama nochmal den Schulranzen kontrolliert und dem Kind die Jacke überwirft.

Lebensrhythmen lösen sich auf; Ordungsgesetze des Lebens geraten in Vergessenheit. Dem Kind fehlt Halt und Orientierung, aber auch Verlässlichkeit und Vertrauen in das, was Mama und Papa denken und tun.

Der gemeinsame Tischspruch, oder das Tischgebet, sorgten in vergangenen Zeiten für Zusammenhalt und das tiefe Gefühl von Dankbarkeit. Es war nicht alles heilig oder rosig, aber die Familie war anwesend.

In  unzähligen Gesprächen  mit jungen Familien, die mit maximal einem Kind den statistischen Durchschnitt erfüllen, erlebe ich die stille Not der Mütter. Sie beklagen sich selten über ihre Männer, jedoch spürt man die angespannte Atmosphäre im Sprechzimmer. Frauen fühlen sich oft allein gelassen, sie leben mit dem Kleinkind wie Alleinerziehende. Die Väter sind in der Mehrzahl abwesend, sie haben das heimische Nest längst verlassen, natürlich immer unter dem Vorwand, die Existenz sichern zu müssen und das nötige Geld zu verdienen. Dies ist kein Vorwurf an die fleißigen Väter, nur ein Appell, die
Vorbildfunktion nicht zu unterschätzen. Ich kann doch nicht verlangen, dass mein Kind Berge von frischem Obst und Gemüse futtert, wenn ich selber nichts Rohes anrühre oder nur von Süßigkeiten und Fleischspeisen lebe. Das Kind spürt sofort, ob Mama und Papa eine Einheit sind und die vollwertige Ernährung konsequent praktizieren oder ob bei Tisch gestritten und diskutiert wird, was gesund ist. Das Kind nutzt natürlich die Unstimmigkeit zwischen den Eltern aus, um zu manipulieren und Aufmerksamkeit zu erlangen. Das Verweigern von gesundem Essen eignet sich hervorragend dazu. Nach dem Motto: »Wenn ihr mich schon nicht liebt, dann hasst mich wenigstens«, wird das Kind zum kleinen Tyrannen und tanzt den Eltern auf dem Kopf herum. Eltern, die heimlich vor dem Fernseher naschen und  glauben, die Kinder kriegen davon nichts mit, in der Annahme, sie schliefen fest, täuschen sich. Kinder sind sehr sensibel und sehen durch Schlafzimmerwände; sie hören die Zwischentöne und erkundigen sich morgens als Erstes, indem sie den Abfalleimer inspizieren. Silberpapier und allerlei Verpackungsmüll halten sie für besonders verdächtig. Kinder entlarven ihre Eltern, sie haben einen Sinn für Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit.

Sie erkennen hoffentlich an dieser Stelle, liebe Eltern, welchen Weg Sie gehen können, um Ihren Kindern zu einem gesunden Ernährungsverhalten zu verhelfen.

Die Gier nach Süßem weist übrigens schon auf einen Vitalstoffmangel hin. Die Spirale der Ungesundheit nimmt dann kein Ende. Die fabrikzuckerhaltigen Süßigkeiten rauben dem Organismus Vitalstoffe und zugleich machen sie die Vollwertkost unbekömmlich. Dieses Phänomen wurde von Dr. Max Otto Bruker als Verträglichkeitsproblem beschrieben. Diese Kette ohne Ende beschrieb Dr. Bruker sehr treffend: »Weil der Mensch keine Vollwertkost mehr genießt, wird er geschädigt, und weil er geschädigt ist, verträgt er die Lebensmittel nicht mehr, die er zur Beseitigung des Schadens genießen müsste, und weil er sie deshalb nicht isst, wird der Schaden verstärkt, und weil er verstärkt wird, meidet er die Lebensmittel noch strenger.« Zur Erläuterung des Verträglichkeitsproblems gebrauchte Dr. Bruker ein einfaches Bild: »Wenn in einem Orchester von 20 Musikern 19 richtig spielen und nur einer spielt falsch, so ist das ganze Konzert verdorben. Wählen wir in einer Kostform, die aus 20 Einzelnahrungsmitteln besteht, 19 richtig aus und ein Nahrungsmittel ist falsch und passt nicht dazu, so wird die ganze Kostform nicht vertragen. Das Leidige dabei ist, dass der Kranke nicht feststellen kann, welches unter den Nahrungsmitteln Beschwerden hervorgerufen hat und meist das falsche beschuldigt.«

Der Verzehr von Fabrikzucker birgt noch weitere gravierende Gefahren. Saccharose, der Haushaltszucker, ist nicht nur ein Vitamin-B1-Räuber, der die Vollwertkost unverträglich macht, sondern ein Suchtmittel. Fabrikzucker erzeugt eine echte Sucht! Dies bestätigen mir täglich Patienten in der Sprechstunde. Auch meine eigene leidvolle Erfahrung mit der Zuckergier werde ich nie vergessen. Die Folgen des übermäßigen Fabrikzuckerkonsums lassen sich nicht vereiteln. Ein untrüglicher Indikator für die Schädlichkeit des Fabrikzuckers ist unsere Zahngesundheit. Die Beschaffenheit unserer Zähne ist das Resultat der Ernährungsfehler in der Kindheit. Fabrikzucker erzeugt Karies (= Zahnfäule).

Wir dürfen von gutgläubigen Kindern, die von den skrupellosen Machenschaften der Nahrungsmittelindustrie keine Ahnung haben, nicht verlangen, dass sie beim Gang durch das Schlaraffenland der übervollen Supermärkte krankmachende Fabriknahrungsmittel im Regal liegen lassen. Die Eltern haben die Aufgabe, ihre Kinder vor Gesundheitsgefahren und Schädlichkeiten zu schützen. Dazu sind sie aber nur in der Lage, wenn sie mehr über die Ursachen ernährungsbedingter Zivilisationskrankheiten wissen. Wissen ist nicht Macht, sondern Wissen verpflichtet.

Der jüngste Skandal in China bringt die kriminellen Energien der Hersteller von künstlicher, präparierter Babynahrung eindeutig ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. Die Säuglinge, die schwächsten Geschöpfe, die den größten Schutz genießen sollten, werden geopfert. Zigtausende Neugeborene erkrankten schwer. Die gepunschte Kunstnahrung führte sogar zum Tod einiger Babys. Nicht nur Ärzte – nein alle, die noch Ehrfurcht vor dem Lebendigen haben, müssten auf die Barrikaden gehen. Diejenigen, die jetzt medienwirksam strengere Kontrollen und schärfere Gesetze fordern, haben sich schon längst verraten und verkauft. Die Verbraucher werden betrogen; Kinder müssen sterben.

Zum Schluss möchte ich Ihnen, liebe Eltern und Großeltern, das kostbare Buch von Ilse Gutjahr »Iss, mein Kind« ans Herz legen. Aus langjähriger Erfahrung präsentiert die Autorin Anregungen, Tipps und Rezepte für eine unkomplizierte, schmackhafte, kindgerechte Vollwertküche. Dieses lesenswerte Buch macht Eltern Mut im Umgang mit dem Thema »Vollwertkost für Kinder – vom Stillen bis zum Pausenbrot«. Sie erhalten viele praktische Hinweise, wie Sie Ihre Kinder ohne Fanatismus für eine schmackhafte, vollwertige Ernährung begeistern können.

Bitte zwingen Sie Ihr Kind niemals zum Essen. Jedes Kind isst, wenn es hungrig ist. Während der Tischmahlzeiten sollten Sie nicht übers Essen diskutieren. Laden Sie das Kind ein, am Tisch Platz zu nehmen. Das Kind darf selbst bestimmen, was und wie viel es von dem Angebotenen isst. Natürlich hat jeder Mensch Vorlieben und seine Lieblingsgerichte. Auch ein Kind hat sein Lieblingsgericht und darf Wünsche äußern. Falsch wäre es jedoch, aus Furcht, das Kind esse zu wenig, nach dem Mund zu kochen. Es hat sich bewährt, nach dem Stillen, Frischkost anzubieten und nicht nur gekochte Speisen, so dass das Kind von Anfang an die natürlichste Form der Ernährung kennenlernt. Leider stillt in Deutschland nur noch etwa jede fünfte Mutter ihr Baby länger als sechs Monate, obwohl die innige Berührung zwischen Mutter und Kind Sicherheit gibt und die Muttermilch die optimale Ernährung darstellt. Kinder, denen nach der Muttermilch nur Gekochtes angeboten wird, sind später schwer für frisches Obst und Gemüse zu begeistern. Diese Kinder konnten die Geschmacks- und Aromastoffe der Rohkost nicht kennenlernen, und weil alles weich gekocht wurde, sind sie »kaufaul« und den faden Einheitsgeschmack gewöhnt. Besonders die bilanzierte und standardisierte Kunstnahrung (Pulvernahrung) führt beim Kind zu einer »Geschmacksverirrung«.