Die Bedeutung der Ernährung für die Gesunderhaltung des Gebisses

Mit dem Beginn der Zivilisation haben sich in den letzten Jahrhunderten die Essgewohnheiten der Menschen grundlegend verändert. Vor zweihundert Jahren ernährte sich ein großer Prozentsatz der
Erdbevölkerung naturnah; jedoch wird seit einigen Jahrzehnten von den Völkern ganzer Kontinente zunehmend denaturierte Nahrung verzehrt. Durch diesen entscheidenden Wandel wurde, wie zahlreiche wissenschaftliche Beobachtungen zeigen, neben den Skelettdeformationen, den Muskel- und Bänderschwächen, den schon oft frühzeitigen Sehstörungen und der beängstigend ansteigenden Frühinvalidität auch den Erkrankungen des Kauorgans Vorschub geleistet. Parodontopathien, Stellungsanomalien der Zähne, Kieferdeformationen sowie die Karies haben in steigendem Umfang zugenommen.

Bei der Vielzahl des Schrifttums über die multifaktorielle Genese der Gebisserkrankungen in kausalem Zusammenhang mit der Nahrung könnte man geneigt sein anzunehmen, diese Materie sei erschöpft. Jedoch gerade die Fülle der Abhandlungen gibt Anlass zu immer neuen Betrachtungen und Erkenntnissen.

Die von mir vorgelegte Studie sei als Beitrag in dem großen Rahmen der Problematik dieser pathologischen Veränderungen zu verstehen.

Forschung

Der amerikanische Zahnarzt, Wissenschaftler und Forscher Weston A. Price gab der Medizin durch seine Veröffentlichungen starke Impulse, die Auswirkungen der Ernährung auf Karies und Parodontopathien zu erforschen. Price bereiste von 1930 an alle Kontinente der Erde und untersuchte selbst die Gebisse vieler Tausender Menschen unter dem Gesichtspunkt: Wo finde ich optimale Gebissgesundheit und wie kommt diese zustande? Seine wissenschaftlichen Beobachtungen bei diesen Forschungen sind in Haller (1) »Gefährdete Menschheit, Ursachen und Verhütung der Degeneration« ausführlich abgehandelt. Diese Interpretation schildert die Ergebnis-Gebissse von Price und legt exakt seine Erkenntnisse dar, dass mit dem Verzehr denaturierter Zivilisationskost die Karies- und Parodontopathien-Frequenz zunimmt. In der vorliegenden Arbeit nehme ich auf Haller Bezug. Nachfolgend einige stark zusammengefasste Berichte über die Price’schen Expeditionen:


Australien:

Ein Perlenfischerboot, bemannt mit 18 Eingeborenen; die Untersuchung ergab: Bei 13 dieser Männer keinerlei Karies, breite Zahnbögen. Fünf Mann hatten 20 % kariöse Zähne, und bei zweien von ihnen zeigten sich Gebissanomalien. Die intakten 13 waren bei primitiver Kost und kärglichen Lebensverhältnissen aufgewachsen, die fünf Gebisserkrankten dagegen in Missionsstationen unter modernen Bedingungen mit Zivilisationskost groß geworden.

Hebriden:

Im Dorf Tarbert auf der Insel Harris mit Lebensmittelhändler und Bäckerei verköstigt sich die Bevölkerung teils mit Zivilisationskost, teils mit herkömmlicher Eingeborenennahrung. Eine Untersuchung der Schuljugend ergab: Von je 100 Zähnen waren 32,4 % kariös.
Im Dorf Scalpay, nur zehn Meilen von Tarbert entfernt und ohne gewerblichen Nahrungsmittelvertrieb am Ort, lebten die Menschen von der althergebrachten Eingeborenenkost. Bei Untersuchung der Schuljugend stellte sich heraus: Nur ein einziger von je 100 Zähnen zeigte Spuren von Karies.

Alaska:

In Bethel waren bei 40 untersuchten Eskimos mit 1094 Zähnen 252 kariös (21,1 %). Die Nahrung dieser Menschen bestand fast ausschließlich aus Zivilisationskost aus dem von der Regierung angelegten Lebensmittellager. 88 andere Untersuchte aßen vorwiegend nicht nur die gelagerten Lebensmittel, und bei diesen waren von 2 490 registrierten Zähnen nur 281 krank (11,6 %). Bei 21 weiteren Bewohnern mit 600 Zähnen waren 38 kariös (6,3 %). Diese Leute verzehrten teils die überlieferte Eingeborenenkost und teils die herangeschafften denaturierten Esswaren aus dem Depot. 27 Eskimos blieben der natürlichen Nahrung ihrer Vorfahren treu. Bei 796 untersuchten Zähnen wurde ein Kariesbefall von 0,1 % festgestellt.

Afrika:

Auch Haller, der selbst Expeditionen und Forschungen unternahm, berichtet von einer eigenen Beobachtung: Ihm zu Ehren versammelte der Stammeshäuptling etwa 2 000 Männer und Frauen zu einem Fest. Aus den braunen, lachenden Gesichtern blitzten die Zähne. Fehlerfreie, symmetrische Zahnbögen und regelmäßig stehende Zähne waren ein wohltuender Anblick. Der in der Hauptstadt ausgebildete Lehrer kam, um Haller zu begrüßen. Er war der einzige Schwarze in diesem Gebiet mit einem schwer geschädigten Gebiss; die Zahnreihen bestanden ausnahmslos aus schwarzen Stümpfen. Dieser Lehrer hatte zehn Jahre in der zivilisierten Stadt gelebt und sich dort von den importierten denaturierten Nahrungsmitteln ernährt.


Diese Beweise des Zusammenhangs  zwischen Gebisserkrankungen und Ernährung ließen sich aus den Schilderungen noch fortsetzen. Haller führt folgende, von Price erstellte Tabelle mit der Darstellung über den Prozentsatz der kariösen Zähne bei Bevölkerungsgruppen mit Primitivnahrung oder mit Zivilisationskost an. Diese Zahlen lassen erneut die eingangs erwähnte Erkenntnis von Price offenkundig werden.

Darstellung über den Prozentsatz der kariösen Zähne bei Bevölkerungsgruppen mit Primitivnahrung und mit Zivilisationskost nach Price

Bevölkerung In Gebieten mit Primitivkost Zivilisationskost
Schweiz 4,6 29,8
Hebriden 1,2 30,0
Eskimos 0,09 13,0
Indianer im hohen Norden 0,16 21,5
Seminolen-Indianer 4,0 40,0
Melanesier 0,38 29,0
Polynesier 0,32 21,9
Afrikanische Stämme 0,2 6,8
Ureinwohner Australiens 0 70,9
Marios 0,01 55,3
Malaien 0,09 20,6
Indianer an der Küste von Peru 0,04 40,0
Indianer auf den Hohen Anden 0 40,0
Indianer im Amazonas-Dschungel 0 40,0

Nach diesen Berichten, die Aufschluss über die Zusammenhänge zwischen Ernährung und pathologischen Veränderungen des Organum dentale in von Zentraleuropa entfernt gelegenen Ländern gaben, sei in derselben Gebiss-Ätiologie auch an die Untersuchungen von Roos (2) im schweizerischen Goms-Hochtal erinnert. Im Gegensatz zu den vorherigen Untersuchungen wurde diese Forschung in einem sehr begrenzten Gebiet durchgeführt. Hier hatte sich die Bevölkerung mit den neuzeitlichen Bräuchen der Hygiene und Zivilisation seit langem vertraut gemacht. Ferner ist zu bemerken, dass diese Menschengruppe inmitten eines stark kariogenen Europas lebt. Das Hochtal mit 16 Ortschaften wurde zweimal innerhalb 25 Jahren durchforscht; zuerst 1930, vor dem Ausbau der Furka-Pass-Straße, dann 25 Jahre später, als dieser Verkehrsweg das bis dahin von der zivilisierten Welt abgeschnittene Alpengebiet für alle modernen Einrichtungen einschließlich der Nahrungserzeugnisse aus der Industrieproduktion öffnete.

Bis 1930 bestand die Ernährung fast ausschließlich aus den Erzeugnissen des heimischen Bodens. Die Körnerfrüchte wurden in primitiven Mühlen grob vermahlen und aus diesem Mehl Brot und Teigwaren gebacken. Milch und Milchprodukte gehörten zur täglichen Nahrung. Zucker wurde kaum verwendet.