Geburtshilfe in Not!

Der Hebammenberuf ist eines der ältesten Gewerbe, das ausschließlich Frauen ausüben. Beredtes Zeugnis über die lange Tradition der Hebammenkunst sind die Tempelmalereien der Drillingsgeburt der Pharaonenkinder des ägyptischen Sonnengottes Re aus dem dritten Jahrtausend vor Christus.

Im Zeitalter der Antike war es üblich, dass nur Frauen den Hebammenberuf ergreifen durften, die selbst schon Kinder geboren und ein gewisses Alter erreicht hatten. Der Grund für diesen Brauch war, dass sie wegen ihres Alters selbst nicht mehr schwanger werden konnten. So war sichergestellt, dass Hebammen praktisch jederzeit zur Verfügung standen. Durch ihre eigene Geburtserfahrung waren sie befähigt, Geburtshilfe zu leisten. Die wesentlichen Aufgaben der Hebamme in der Antike waren vielfältig. Sie bestanden neben der Anregung oder Reduzierung der Wehentätigkeit in der eigentlichen Geburts»hilfe«, aber auch in der Ehevermittlung sowie der Abtreibung. Viele Jahrtausende lang blieb diese Tradition der Geburtsbegleitung unangetastet in den Händen der heilkundigen Frauen – der Hebammen. Das änderte sich erst im Mittelalter, als sich die ärztliche Geburtshilfe und medizinische Wissenschaft herausbildete. In dieser Zeit (1608) wurde weltweit das erste von einer Hebamme geschriebene Hebammenlehrbuch herausgegeben: von der französischen Hebamme Marie Louise Bourgeois. Das erste deutsche Hebammenlehrbuch erschien 1690, geschrieben von der »Chur-Brandenburgische Hof-Wehemutter« (Hebamme) Justine Siegemund. Dieses fortschrittliche Werk war, im Gegensatz zu ärztlichen Lehrbüchern, mit vielen Kupferstichen versehen, welche verschiedene geburtshilfliche Situationen bildhaft darstellten. Dieses Hebammenlehrbuch war lange Zeit das Standardwerk in der Geburtshilfe.

Wegen ihres immensen Wissens rund um die Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett sowie in der Kräuterheilkunde wurden sie »Wehenmütter« oder auch »weise Frauen« genannt. Andererseits waren diese heilkundigen Frauen im Mittelalter nicht selten wegen ihres Wissens und Könnens, insbesondere aber hinsichtlich des Wissens über die Heilwirkung von Kräutern und Extrakten, durch die Hexenverfolgung bzw. -verbrennung bedroht.

Hebammentätigkeit in den letzten 100 Jahren

Spätestens seit dem Ende des II. Weltkriegs veränderte sich der Ort der Geburt in Deutschland und Mitteleuropa erheblich. Nach dem Krieg stand die Hausgeburt üblicherweise auf der Tagesordnung; insbesondere im ländlichen Raum. Sie verlagerte sich seitdem mehr und mehr in den klinisch-ärztlichen Bereich. Die jährliche Rate an Haus- bzw. außerklinischen Geburten beträgt in Deutschland heute konstant 1,6 Prozent. Die restlichen 98,4 Prozent aller Geburten finden in Frauenkliniken und geburtshilflichen Klinik-Abteilungen statt, ca. 1/4 der Geburten werden durch Beleg-Hebammen begleitet (3).

Was sind die Ursachen für diese dramatische Veränderung? Zum einen ist es die gesellschaftliche Entwicklung nach dem Krieg. Sie vollzog sich auf verschiedenen Ebenen: die Jahre des wirtschaftlichen Aufschwungs mit dem zunehmenden Wohlstand einer breiten Masse der Bevölkerung, die Weiterentwicklung der Medizin und Medizintechnik, die Einführung neuer wirksamer Arzneimittel, die Verbesserung der allgemeinen hygienischen Gesamtsituation bis hin zur Entwicklung einer Event-, Lifestyle- und Spaßgesellschaft. Das sind die wesentlichen Meilensteine dieser Entwicklung. Andererseits stieg aber auch das Bedürfnis bzw. der Anspruch der Bevölkerung nach vermehrter medizinischer Sicherheit durch prophylaktische und andere medizinische Maßnahmen. In der Frauenheilkunde wurde z. B. seit Ende der 1950er Jahre die regelmäßige ärztliche Schwangerenvorsorge eingeführt. Damit ging die alleinige Betreuung der Schwangeren durch die Hebamme in den ärztlichen, d. h. schulmedizinischen Bereich über.

Einst war die Begleitung der Schwangeren »von Anfang an« die ausschließliche Domäne der (Haus- bzw. Familien-) Hebamme. Mit Beginn der 1960er Jahre begann neben der Etablierung der ärztlichen Schwangerenvorsorge parallel dazu die Forschung in der Frauenheilkunde auf dem Gebiet der Geburtsmedizin, d. h. der vorgeburtlichen kindlichen Entwicklung (Pränatalmedizin), der kindlichen und mütterlichen Zustandsdiagnostik und Therapie unter der Geburt (Perinatalmedizin) und der kindlichen Betreuung nach der Geburt, insbesondere der Aufzucht von Früh- und extrem Frühgeborenen (Neonatologie). Und noch eine Entwicklung hatte einen großen Einfluss auf die vermehrte Zuwendung zum Arzt: Zur gleichen Zeit begann der »Siegeszug« der medikamentösen Schwangerschaftsverhütungsmittel (»Pille«). Diese war und ist ausschließlich über fachärztliche Verschreibung erhältlich. Damit war ein regelmäßiger Besuch beim Frauenarzt notwendig. Mit diesen Entwicklungen im ärztlichen Bereich wurde das Berufsbild der Hebammen sukzessive nachhaltig verändert. War sie früher die erste Ansprechpartnerin und »Fachfrau« rund um Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett, so ist es heute überwiegend der/die Frauenarzt/-ärztin. Eine kontinuierliche Begleitung einer Schwangeren durch eine Hebamme vom Beginn der Schwangerschaft an bis zum Ende des Wochenbetts stellt heute eher eine Ausnahme dar.

Keine Zeit für Geburtenbetreuung

Existierte früher z. B. die so genannte Eins-zu-eins-Betreuung unter der Geburt (bei Haus- oder Klinikgeburt), d. h. die Betreuung einer Gebärenden durch eine Hebamme, wich sie in den Kliniken immer mehr der kontinuierlichen »Überwachung« durch elektronische Geräte. In der klinischen Geburtshilfe betreut heute eine Hebamme oft mehrere Gebärende gleichzeitig und muss nebenbei noch jede Menge verwaltungstechnische, bürokratische Arbeiten erledigen. Die Folge: Kleine und große Kliniken haben zunehmend trotz intensiver Suche und Werbung Probleme, Hebammen (und auch Ärzte für Geburtshilfe) anzustellen. Viele Hebammen sind desillusioniert, denn für die eigentliche Hebammenarbeit – die Geburtsbetreuung – bleibt kaum noch Zeit. Öffnet eine Frauenklinik ihre Pforten für Eins-zu-eins-Beleggeburten, so hat ein kleiner Teil Frauen Glück, mit ihrer eigenen Hebamme dort gebären zu können.

Früher galt die ganze Aufmerksamkeit der Hebamme der gebärenden Frau: menschliche Zuwendung, unterstützende, motivierende und beruhigende Fürsprache, periodisches Abhören der kindlichen Herztöne mittels Pinard‘schen Hörrohrs usw. So entstand eine vertrauensvolle, ruhige und entspannte Atmosphäre zu Hause oder im Gebärzimmer einer Klinik. Der Arzt wurde in der Regel nur bei Eintritt einer Komplikation oder allenfalls zur Geburt hinzugerufen. Diese entspannte Atmosphäre findet sich derzeit fast nur noch in der außerklinischen Hebammen-Geburtshilfe. Das Hauptaugenmerk der klinisch tätigen Hebamme konzentriert sich heute mehr auf die laufende Analyse der überwiegend permanenten elektronischen »Überwachung« der Gebärenden und ihres noch ungeborenen Kindes mittels des Kardiotokogramms – Aufzeichnung der kindlichen Herzaktionen (Kardiá griechisch: Herz) und der mütterlichen Wehentätigkeit (Tókos griechisch: Geburt). Die Gebärende mit ihren Wünschen und Bedürfnissen nach Individualität, Intimität und Ruhe bleibt dabei im klinischen Alltag meist auf der Strecke bzw. ungehört. Und noch ein wesentliches Detail ist heute anders als früher: Es fehlten seinerzeit bei der Geburt die (nicht selten aufgeregten und z. T. mit der Situation des Gebärens ihrer Partnerinnen überforderten) Ehemänner!

Kreißsaal-Atmosphäre heute

Die Atmosphäre in einer großen Geburtsabteilung einer Klinik ist weit entfernt von Entspanntheit, Geborgenheit, Ruhe, Individualität und Intimität. Ganz im Gegenteil: Sie wird geprägt von Unruhe und Betriebsamkeit, fehlender Gelassenheit und Zeit sowie knappen personellen Ressourcen. Spätestens seit der Einführung des Fallpauschalen-Systems (G-DRG – German Diagnosis Related Groups) zur
Finanzierung des deutschen Gesundheitswesens im Jahre 2003 wird der ökonomische Druck auf die Krankenhäuser immer größer. Die Folge: Um einigermaßen wirtschaftlich zu arbeiten, wird folgerichtig auch am medizinischen Personal gespart und die Stationsbesetzung auf ein absolut notwendiges Minimum reduziert. Der Turbo-Kapitalismus hat vor dem Gesundheitswesen keinen Halt gemacht! Aus dem Gesundheitswesen von einst entwickelte sich politisch gewollt der Gesundheitsmarkt mit den üblichen Marktgesetzen: Im Mittelpunkt steht das Geld und nicht mehr der Mensch bzw. die humanitäre Idee des Unterstützens, Helfens und Heilens. Auch wenn die Politiker in blasphemischer Weise immer wieder das Gegenteil behaupten! Nicht zuletzt wenden sich aus diesen Gründen 2 – 3 Prozent aller Schwangeren von der derzeitigen »modernen« klinischen Geburtshilfe ab und suchen bzw. finden eine Alternative in der außerklinisch freiberuflichen Hebammenarbeit mit Kursen, Vorsorge und Wochenbett-/Stillbetreuung usw. Wo es möglich ist, gründen sich Geburtshäuser oder bieten Hebammen Eins-zu-eins-Geburtshilfe zu Hause oder als Beleghebamme an. In diesem Umfeld finden sie genau das, was in den Kliniken fehlt: Individualität, Intimität, Ruhe, Gelassenheit, Zeit, Zuwendung, entspannte Atmosphäre usw. Diese wichtige Arbeit wird von den freiberuflichen, außerklinisch tätigen bzw. Beleg-Hebammen geleistet. Doch dieser Berufsstand wird durch eine problematische politische Entwicklung in seiner Existenz bedroht! Dazu einige Zahlen zur Situation der Hebammen (Stand November 2013): In Deutschland sind ca. 21 000 Hebammen registriert, von ihnen sind 18.510 im Deutschen Hebammenverband (DHV) organisiert. Zirka 25 Prozent der freiberuflichen Hebammen haben bis 2010 ihren Beruf aufgegeben (!), 71,7 Prozent der angestellten Hebammen arbeiten Teilzeit, ca. 60 Prozent der Hebammen arbeiten freiberuflich ohne Geburtshilfe (5). Die durchschnittliche Anzahl an Geburten pro in einem Kreißsaal tätiger Hebamme und Jahr beträgt in Deutschland 64,35 und liegt an – gemessen an der Zeit und Zuwendung für die Schwangeren – zweitschlechtester Stelle in Europa. Nur in Spanien ist das Verhältnis mit 109,1 Geburten pro Hebamme und Jahr noch schlechter; Zypern folgt Deutschland mit 52,6 Geburten pro Hebamme und Jahr. Spitzenreiter ist Schweden mit 14,2 Geburten pro Hebamme und Jahr! (9)

Demokratische Grundrechte

Ein Merkmal unserer pluralistischen Gesellschaft ist u. a. die Vielfalt und damit die Wahlfreiheit. Jeder Mensch kann sich in unserer freiheitlich-demokratischen Gesellschaftsordnung im Rahmen der gesellschaftlichen Normen als Persönlichkeit entfalten und seinen Weg finden und eigenständig gehen. Dieses Grundprinzip der Wahlfreiheit und Selbstbestimmung, z. B. nach einer klinischen oder außerklinischen Geburt, wird der mündigen und aufgeklärten Schwangeren heute zunehmend verwehrt. Immer mehr freiberufliche und Beleg-Hebammen stellen ihre Geburtshilfetätigkeit ein. Damit ist die außerklinische bzw. Beleg-Geburtshilfe in ihrem Bestand stark bedroht. Die Ursache ist einerseits der Erlössituation der Hebammen (s. Tab. 1) und andererseits der dramatischen Entwicklung der Haftpflichtprämien der freiberuflichen Hebammen geschuldet. Die Einnahmen aus 24 Stunden Rufbereitschaft an sieben Tagen der Woche sind für die meisten Hebammen nicht ausreichend und kostendeckend. Um eine Eins-zu-eins-Geburtshilfe in guter Qualität anzubieten sowie Fehler und Geburtenhäufungen zu vermeiden und letztlich um sich auch selbst vor Überlastung zu schützen, kann eine Hebamme nicht mehr als 5 – 6 Geburten im Monat betreuen. Und sie muss, wie jeder Freiberufler, versuchen, in zehn Monaten den notwendigen Verdienst für ein ganzes Jahr zu erwirtschaften, um Ausfallzeiten und Urlaub finanziell absichern zu können. Hinzu kommen strikte Auflagen, die Zahlung der Krankenkassen-, Renten- und Arbeitslosenbeiträge sowie der rasante Anstieg der Haftpflichtprämien. Das alles macht den freiberuflichen Hebammen das Leben schwer, viele haben deshalb resigniert und die außerklinische oder Beleghebammentätigkeit eingestellt. Der Hebammenverband startete daraufhin eine Initiative, um die Bevölkerung auf das politische Problem aufmerksam zu machen. Mit Hilfe der Internet-Petition (www.change.org/hebamme) sollte erreicht werden, dass die Haftpflichtprämie für Hebammen bezahlbar bleibt oder/und ein staatlicher Haftungsfonds für alle Gesundheitsberufe gegründet wird. (2) Jede Bürgerin und jeder Bürger konnte diese Aktion mit einer Teilnahme unterstützen und dazu beitragen, dass die außerklinische Geburtshilfe weiter besteht und den Schwangeren diese Wahlmöglichkeit erhalten bleibt. Knapp 435 000 Unterschriften kamen zusammen, auch meine war dabei.

Warum steigen die Haftpflichtprämien?

Welche Ursachen führen nun zu diesem exponentiellen Anstieg? Die Haftpflichtprämien werden aus den zu zahlenden Summen eines regulierten Haftpflichtschadens kalkuliert. Mit Hilfe der heutigen hochentwickelten Medizin wird es möglich, nicht nur Menschen mit Behinderungen besser zu behandeln, sondern auch ihre Lebenserwartung deutlich zu verlängern. Je länger ein Mensch mit Handicaps lebt, desto größer werden die Aufwendungen für seine Pflege und Unterstützung. Deshalb erreichen die Summen für einen Haftpflichtfall heute nicht selten 5 – 10 Millionen Euro! Einige Zahlen sollen diese Entwicklung veranschaulichen. Zum Vergleich: Das durchschnittliche Schmerzensgeld bei einem so genannten Geburtsschaden betrug im Jahre 1998 75 000 Euro, im Jahre 2008 500 000 Euro! Für eine Haftpflichtprämie zahlte eine freiberufliche Hebamme im Jahre 1981 30,68 Euro, in 2000 404 Euro, im Jahr 2014 5091 Euro und im laufenden Jahr 6000 Euro!

Die Gesamtaufwendungen im Schadensfall für Heilkosten, Pflege, Verdienstausfall, Anwalts- und Gerichtshonorare beliefen sich im Zeitraum bis 1998 auf ca. 340 000 Euro und stiegen bis zum Jahr 2014 auf 2,9 Millionen Euro! Wegen der Unmöglichkeit der Schadenskalkulation ziehen sich inzwischen immer mehr Versicherungen aus dem Geschäft zurück. Die wenigen verbleibenden Versicherungen bilden mittlerweile ein Oligopol. Momentan existieren noch ca. 30 Versicherer für Altverträgler, aber nur noch eine Versicherung steht für Neuverträge zur Auswahl (sog. Gruppenversicherung über den Deutschen Hebammenverband e. V.). Somit reicht das Einkommen vieler Freiberuflerinnen nicht mehr aus, um diese hohen Haftpflichtprämien zu zahlen; sie können die notwendigen Erlöse nicht aufbringen. Es bleibt ihnen nur noch eine Tätigkeit ohne Geburtshilfe, also Vor- und Nachsorgetätigkeit oder der Berufsausstieg.

Geburtsort Vergütung (€) Haftpflichtzulage pro Geburt ab Juli 2014 (€) Anzahl Geburten pro Jahr zur Deckung der Versicherungsprämie
Hausgeburt 703,08 132,00 7,2
Geburtshaus 559,00 68,00 9,1
Belegabteilung 275,22 8,81 18,5
Beleggeburt 1:1 288,72 30,00 17,6

Tabelle 1: Vergütungsstaffelung für freiberufliche Hebammen mit Geburtshilfe (Pauschale für elf Stunden Arbeitszeit) ab Juli 2014 und notwendige minimale Geburtenzahl zur Deckung der Haftpflichtprämie (4)

Seit 2009 versucht der Gesetzgeber über die Krankenkassen, den freiberuflichen Hebammen einen Teil der Kosten für die Haftpflichtprämie über einen Zuschlag zur Geburtspauschale zu erstatten (s. Tab. 1). Das bedeutet, dass Hebammen mit vielen Geburten einen gewissen Erlösüberschuss erzielen könnten, Hebammen mit wenigen Geburten könnten einen Verlust erleiden und die Prämie nicht mehr bezahlen. Die Grenze, bei der sich die Erlöse und Kosten die Waage allein für das Aufbringen der Haftpflichtprämie halten, liegt je nach Geburtsort und Erlös zwischen acht und 20 Geburten pro Hebamme und Jahr. Dieser Ausgleich der Haftpflichtprämien durch die Krankenkassen betrifft ca. 3500 freiberufliche Hebammen, die Geburten abrechnen.

Ist eine Geburt in der Klinik sicherer als im außerklinischen Bereich?

Diese Fragestellung wird seit langer Zeit in den ärztlichen und Hebammen-Fachverbänden sehr kontrovers und vor allem emotional diskutiert. Die Diskussion bezieht sich auf die Geburt einer gesunden Schwangeren bei unkomplizierter Schwangerschaft am Termin (38.– 42. Schwangerschaftswoche). Aus meiner Sicht beträfe das ca. 75 – 80 Prozent aller Schwangeren, die keine geburtshilflich relevanten Risiken aufweisen. Die meist ärztlichen Befürworter einer Klinikgeburt stellen die sehr selten auftretenden möglichen Risiken stark in den Vordergrund (12). Sie verweisen dabei auf die sehr schnelle ärztliche Eingriffsmöglichkeit bei auftretenden Komplikationen unter der Geburt sowie auf die Möglichkeit, bei Anpassungsstörungen des Neugeborenen einen spezialisierten Kinderarzt (Neonatologe) sofort hinzuzuziehen. Die Hebammen-Verbände dagegen verweisen darauf, dass eine außerklinische Geburt genau so sicher für Mutter und Kind sei wie eine Klinikgeburt. Seriöse Untersuchungen belegen diese Aussage (10, 11).

So sind z. B. mütterliche oder kindliche Todesfälle an beiden Geburtsorten extrem selten, allgemeine Geburtskomplikationen oder Verlegungen von Neugeborenen in die Kinderklinik sind in der außerklinischen Geburtshilfe nicht häufiger als bei einer Klinikgeburt. Allerdings ist die außerklinische Geburtshilfe beinahe frei von Interventionen. Es werden z. B. keine Medikamente zur Geburtseinleitung oder Förderung der Wehentätigkeit eingesetzt, sehr selten werden Scheiden-Dammschnitte (Episiotomie) oder instrumentelle Geburtsbeendigungen (Zangen- oder Vakuumentbindungen) durchgeführt usw. Aus meiner Erfahrung kann ich bestätigen, dass gerade die sehr häufig vorgenommenen Interventionen in der klinischen Geburtshilfe, wie z. B. Geburtseinleitungen, Wehenstimulation unter der Geburt und viele andere mehr, zu vermehrten, vermeidbaren Komplikationen unter der Geburt führen. In der Konsequenz enden solche Geburtsverläufe nicht selten in einer Kaiserschnittentbindung. Schwere Geburtskomplikationen, die zu schwersten kindlichen Schäden führen (sog. Geburtsschäden, wie z. B. eine Zerebralparese – schwerer Hirnschaden mit Spastik der Extremitäten auf Grund von Sauerstoffmangel unter der Geburt), sind extrem selten. Sie treten seit ca. 60 Jahren in fast unveränderter Häufigkeit bei 2 – 4 pro 1000 Lebendgeborenen auf. Und das, obwohl sich die Frequenz der Kaiserschnittentbindungen in den vergangenen 40 Jahren vervielfacht hat.

Als ich Anfang der 1990er Jahre als junger Facharzt in das Nürnberger Perinatalzentrum (große Geburtsklinik mit einem hohen Anteil an so genannten Risikoschwangerschaften bzw. -entbindungen, derzeit ca. 3000 Geburten pro Jahr) eintrat, betrug die Kaiserschnittrate weniger als 10 Prozent. Im Jahr 2014 betrug sie in unserer Klinik 23 Prozent, Trend rückläufig. Dabei ist die Nürnberger Geburtsklinik insofern eine Ausnahme, als dass sie im Vergleich zum Bundesdurchschnitt eine um 1/3 niedrigere Kaiserschnitt-Frequenz aufweist. Auch hierzu einige Zahlen zur Verdeutlichung der Situation: Die Kaiserschnitt-Rate in Deutschland betrug 2013 31,8 Prozent, in Bayern 32,8 Prozent (zum Vergleich: Bayern 1991 16,1 Prozent), Klinikum Nürnberg 24,2 Prozent (6). Und es existieren auch starke regionale und nationale Schwankungen: im Jahr 2012 betrugen die Kaiserschnittraten in Nürnberg 26 Prozent, in Fürth 28 Prozent und in Amberg-Sulzbach 47 Prozent. Im letzten Jahr wurden in Portugal 35 Prozent und in Finnland 18 Prozent Kaiserschnitte durchgeführt. Die Erläuterung der Ursachen der unterschiedlichen Raten an dieser Stelle würde den Rahmen des Beitrags jedoch sprengen. Für die an Kliniken angestellten Hebammen bedeuten hohe Kaiserschnitt-Raten jedenfalls Verlust an originärer Tätigkeit.

Fazit

Das Natürlichste auf der Welt, eine Geburt, wird nach wie vor hauptsächlich von einer Hebamme begleitet. Der Wandel des Geburtsortes, die exponentiell gestiegenen Haftpflichtprämien für außerklinisch tätige und Beleg-Hebammen, die Anspruchshaltung der Gesellschaft nach einer schicksalsfreien, perfekten Geburt und einem gesunden Kind und viele andere Gründe haben die Arbeitsbedingungen der freiberuflichen Hebammen erheblich verschlechtert. Viele Hebammen gaben und geben ihren geliebten Beruf wegen der Unbezahlbarkeit der Haftpflichtprämien und der allgemeinen Rahmenbedingungen auf. Damit ist die außerklinische Geburtshilfe in Gefahr.

In diesem Zusammenhang steht die zunehmende Unmöglichkeit für schwangere Frauen, für sich eine Wahl hinsichtlich des Geburtsortes zu treffen. Letztlich werden sie mehr oder weniger zu einer Klinikgeburt gedrängt. Es liegt nicht nur in den Händen der Hebammen und der Schwangeren, den politischen Druck zu erhöhen, damit diese alte, traditionelle Hebammenkunst am Leben bleibt. Als ein weiteres positives Beispiel sei die Petition zum Erhalt des Münchner Geburtshauses erwähnt. In kurzer Zeit sammelten die Hebammen mehr als 10 000 Unterschriften und überreichten sie dem 2. Bürgermeister der Stadt München. Das blieb nicht ohne Folgen. Dieser stellte fest: »Das Geburtshaus gehört zu München. Es sei wichtig, dass es ein breites Spektrum an Einrichtungen gebe.« (13) Es gehören Mut und Zivilcourage dazu, um nicht alles hinzunehmen, was die Politik beschließt, sondern sich auch zu wehren! Ganz nach dem Motto der GGB-Frühjahrstagung 2015: »Wider den Gehorsam«.

Literatur

1. Zu schnell am Skalpell? Nürnberger Nachrichten vom 13. 09. 2014
2. Hebammen in anderen Umständen. Nürnberger Nachrichten vom 12. 05. 2014
3. Mihm, A: Geburtshelfer Gröhe. Führen und Wirtschaften im Krankenhaus (f&w), 5/2014
4. Fragen und Antworten zum Thema Haftpflichtversicherung bei Hebammen (3/2014). Deutscher Hebammenverband e. V.
5. Zahlenspiegel zur Situation der Hebammen, Deutscher Hebammenverband (DHV) e. V.
6. Zahl der Kaiserschnitte bleibt unverändert. Der Frauenarzt 2014;55:942
7. BKG online: Mitteilungen der Bayerischen Krankenhausgesellschaft 2014;45:10
8. Bovermann, Yvonne: Geburtshäuser: Kooperation statt Konkurrenz muss das Ziel werden! Die Hebamme. 2013;26:36 – 38
9. Survey of European Midwifery Regulators. Second Issue, February 2010
10. David, M; Pachaly, J; Vetter, K; Kentenich, H: Geburtsort Geburtshaus – Perinataldaten im Vergleich zu Klinikentbindungen in Berlin und Bayern. Z Geburtsh Neonat 2004;208:110 – 117
11. David, M; Pachaly, J; Wiemer, A; Gross, MM: Außerklinische Geburtshilfe in Deutschland – Perinataldaten »großer«, »mittlerer« und »kleiner« Geburtshäuser im Vergleich. Z Geburtsh Neonatol 2006; 210:166 – 172
12. Arabin, B., F. A. Chervenak, L. B. McCullough: Die geplante Hausgeburt in industrialisierten Ländern: Bürokratische Traumvorstellung vs. professionelle Verantwortlichkeit. Z Geburtsh Neonatol 2013, 207:7 – 13
13. Rahmsdorf, Inga: Zukunft in Schwabing. Süddeutsche Zeitung vom 01. 04. 2015

Autor: Dr. Michael Krause, Facharzt für Frauenheilkunde

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