Am Freitagnachmittag wurden wir 13 Seminarteilnehmerinnen und -teilnehmer auf die gewohnt herzliche Art mit einer Umarmung von Dr. Mathias Jung in der schönen großen Glasvorhalle des Bruker-Hauses empfangen. Mathias nahm uns mit in den Speiseraum,
Lieber ein eckiges Etwas als ein rundes Nichts
Christian Friedrich Hebbel
wo die Tische schon nett gedeckt waren. Es gab feinen Vollkornkuchen, Tee und Getreidekaffee. Martina Möbius, Therapeutin und Co-Leiterin des Seminars, kam hinzu und begrüßte jeden Einzelnen von uns freundlich. So fühlten wir uns alle von Anfang an schon sehr willkommen. Wir Teilnehmerinnen und Teilnehmer konnten die ersten Worte wechseln.
Nachdem wir uns gestärkt hatten, ging es in das geräumige, lichtdurchflutete Therapiezimmer von Mathias. An der riesigen Bücherwand lehnten Matratzen und auch auf dem Boden lagen Matten, so dass wir es uns mit Kissen und Decken gemütlich machen konnten. Wir fühlten uns direkt wohl in diesem hübschen Raum. Anders als bei der Psychoanalyse saßen in unserem Seminar die Therapeuten auf der Couch!
Damit wir die Namen voneinander kennen lernen und behalten konnten und um uns etwas vertraut miteinander zu machen, gab es mehrere Runden, in denen wir zehn Frauen und drei Männer uns ein Kissen zuwarfen und jeder sich mit seinem Namen und dessen Bedeutung vorstellte. Als nächstes mit der beruflichen Tätigkeit und dem Lieblingshobby. Es stellte sich heraus, dass viele von uns gerne singen. Leider hatten wir es während des Seminars nicht geschafft, einen »Seminarchor« zu gründen und zusammen zu tirilieren. Die Seelenarbeit beanspruchte die ganze Zeit. Das war auch gut so.
Dann kam die »Talkshow«. Wir Teilnehmerinnen und Teilnehmer durften nun nacheinander auf die Couch und jeweils einem anderen eine Frage stellen. Ich fragte meine Interviewpartnerin, welchen Wunsch sie sich gerne in ihrem Leben erfüllen würde, wenn alles möglich wäre. Ich bekam zur Antwort »Fallschirmspringen und ein Buch schreiben«. Das fand ich spannend. Nach diesen Übungen mit viel Lachen und Staunen waren wir als Gruppe uns schon nicht mehr so fremd.
Dann wurde Mut von uns gefordert. Jeder Einzelne von uns stellte sich mit Herzklopfen vor die Gruppe und vor Martina und Mathias und sprach kurz über sein spezielles Thema. Etwas, das einen noch aus der Kindheit belastet, auch aktuelle Krisen, die es zu meistern gilt, oder Entscheidungen, vor denen man steht.
Mein Anliegen war es, dass es mir nicht mehr so wichtig sein soll, was andere über mich denken, ein Gedankenmuster, das noch aus der Erziehung, meiner Kindheit bei mir wirkt und das ich dabei bin, zu entmachten. Ich will daran arbeiten, frei zu leben und wirklich zu dem Lebensentwurf zu stehen, der mein Leben ausmacht. Diese Gedanken beschäftigten mich schon auf einem Naikan-Meditations-Seminar, das ich über Karneval besucht habe. Zum Abendessen gab es verschiedene Frischkostsalate und köstliches selbst gebackenes Brot mit Aufstrichen und einer leckeren Gemüsesuppe. Bei einem Spaziergang im Dunkeln durch den mit Laternen ausgeleuchteten Kurpark, wo die Enten leise im Teich schnatterten, beschäftigte ich mich noch gedanklich mit den teils sehr aufwühlenden Themen der Gruppe. Im angenehm eingerichteten Apartment im Bruker-Haus konnte ich dann doch etwas zur Ruhe kommen. Am Samstag, nach einem Leib und Seele stärkenden Frühstück mit einem fruchtigen Frischkorngericht, selbst gebackenen Brötchen und Aufstrichen starteten wir mit einer Feedback-Runde. Wir waren eingeladen zu berichten, wie wir uns fühlen. Ein Teilnehmer drückte im Sinne von uns anderen aus, dass er sich schon nach der kurzen Zeit wie unter Freunden fühle. Martina Möbius meinte, dass wir in einer solchen Gruppe offen miteinander sprechen und uns persönliche Dinge anvertrauen, wie wir es vielleicht sogar mit engen Freunden nicht tun. Martina erwähnte ein weises Zitat eines ihrer Lehrer: »Wenn wir Seelenarbeit machen, dann ist es so, wie einen Sumpf trockenlegen.«
Wir sprachen darüber, dass die Anpassung, unter der viele leiden, letztendlich ein Gebrochensein ist. Ein Ausspruch von Erich Kästner brachte uns zum Nachdenken: »Nur wer Kind bleibt, wird erwachsen.« Viele weitere Themen wurden besprochen. Dinge, die es aus der Vergangenheit zu verarbeiten gibt, oder ganz konkret im Hier und Jetzt geklärt werden müssen. Um eigene Süchte, Suchtprobleme der Angehörigen, oder ob es darum geht, einen unerfüllten Kinderwunsch zu betrauern und damit abzuschließen bzw. etwas anderes in seinem Leben zur Fruchtbarkeit zu bringen. Mathias Jung bezeichnete dies so treffend mit »Da ist ein Ast in Deinem Leben nicht grün geworden.« Es wurde aufgezeigt, dass z. B. mit einem Hund oder mit einem Garten, in dem man sät und erntet, auch Leben weitergegeben werden kann, der Fluss des Lebens weiterfließt. Auch ging es um Dinge, die in der Partnerschaft geklärt werden müssen. Das nähere Zusammenwachsen oder auch eine Trennung, die schmerzhaft sein kann. Mathias formulierte das anschaulich: »Trennung ist Amputation bei lebendigem Leibe ohne Narkose.« Auch kam die Versöhnung mit dem inneren Kind zur Sprache oder mit den Eltern, die oft möglich, aber nicht immer der Fall sein kann, wenn als Kind Gewalt erfahren wurde. Familienbeziehungen kamen immer wieder zur Sprache und wurden in Familienaufstellungen näher beleuchtet. Es ging auch um das Trauma der Kriegskinder, das bis in die Generation der Kriegsenkel weiterreicht.
Wir entwickelten gemeinsam konstruktive Lösungen, um mit den Dingen, die uns beschäftigen, voranzukommen. Auch, dass das nicht immer ein bequemer Weg ist. Mathias machte uns deutlich, dass das Leben eine ständige Wandlung ist: »In allen Märchen müssen Helden aufbrechen. Nur ja nicht hocken bleiben.« Auch regte uns Mathias an zu einer »Dankbarkeitsbiographie«. Zum Beispiel sich in der Meditation bewusst zu machen: »Wofür bist du dankbar?«
Martina Möbius machte einer Teilnehmerin Mut, mit ihrem Ehemann nicht von Kopf zu Kopf zu reden, da die Sachebene zum Argumentieren einlädt, sondern auf der Gefühlsebene zu kommunizieren, da der Partner sonst ihr Leid nicht sehen kann. Martina sprach einige in unserer Gruppe an mit dem Hinweis, der uns beschäftigte: »Du versuchst, verständnisvoll zu sein, dadurch verlierst du deine eigene Kraft.«
Mathias Jung plädierte für den »Sacro Egoismo«, den heiligen Egoismus, wie man diesen in Italien bezeichnet, in Bezug auf die Partnerschaft. Partner können uns helfen. Erlösen müssen wir uns selbst. Ein Gedanke von Mathias beeindruckte mich, der für so viele Situationen gilt: Wer nicht handelt, wird behandelt.
Während des ganzen Wochenendes war die Überzeugung spürbar, die Mathias Jung auf der Website der GGB zum Ausdruck bringt: »Das macht das köstliche Elixier zwischen Therapeut und Ratsuchendem aus: Die Liebe zum Nächsten.« Martina und Mathias verströmten beide spürbar diese Liebe zu uns Teilnehmerinnen und Teilnehmern. In seiner wohlwollenden Art erzählte Mathias auch mal einen Witz zwischendurch. Das befreiende Lachen tat gut nach vielen aufrüttelnden Geschichten, die wir voneinander gehört haben, z. B. folgender: »Ein 90-jähriges Ehepaar sitzt vor dem Scheidungsrichter. Der fragt sie: Warum lassen Sie sich erst jetzt scheiden? Das Ehepaar antwortet: Wir wollten warten, bis die Kinder tot sind.« Auch durften wir in den Genuss von ein paar von Mathias zitierten Gedichten kommen, wie das wunderbare Poem von Hermann Hesse »Stufen«, in dem es um Abschied und um Neubeginn in neue Lebensstufen geht. ». . . Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise mag lähmender Gewöhnung sich entraffen . . .« Ein paar Beiträge aus unserer Gruppe komplettierten den poetischen Teil unseres Seminars. Wir besprachen die tiefenpsychologischen Schritte »Erinnern, Beweinen, Bewüten, Begreifen, Beenden«. Es gab viel zu lachen miteinander, und auch die Tränen durften fließen. Mir fiel ein Zitat meiner Yogalehrerin ein: »Weinen ist Duschen für die Seele«. Nach diesem Wochenende waren unsere Seelen sehr gut geduscht!
Zum Abschluss sollten wir uns überlegen: Was möchte ich hierlassen? Was nehme ich mit? Das, was wir in Lahnstein lassen wollten, schrieben wir auf einen Zettel und verbrannten diesen feierlich in einer Abschiedszeremonie in einer Schale. Es gibt eine Zeit zum Weinen und eine Zeit zum Handeln. Dieses Wochenende gab uns die Kraft zum Handeln. Wir entwickelten gute Lösungsansätze und fuhren gestärkt mit vielen neuen Eindrücken und Aufgaben, die es zu erledigen gilt, nach Hause. Vielen Dank für dieses nachhaltig wirkende, bereichernde Seminar.