Die Geschichten hinter dem Lockdown Nr. 01: „Wenn man muss, geht alles – auf Kosten der Kinderseele und des Urvertrauens“

Erfahrungsbericht von Marika Berger

Als ich nach dem Lockdown endlich wieder die Möglichkeit hatte, meine Kinder in die KITA zu bringen, freute sich meine große Tochter (5 Jahre alt) riesig. Mein kleiner Sohn (1 ½ Jahre alt) wusste nicht so richtig, ob er sich freuen sollte oder was ihn erwartete. Damit wir den Notbetreuungsplatz in Anspruch nehmen durften, mussten wir uns genau an die Regeln halten, sonst bestand Ablehnungsgefahr.

Die Regeln der neuen Normalität

Das waren die Regeln der „Neuen Normalität“: Spätestens früh um 9 Uhr da sein. Das konnte zu Beginn schon schwierig werden, da wir sonst in unserem „Stay Home“-Modus erst um 9 Uhr aufgestanden waren oder der Kleine um 7 Uhr noch einmal einschlief, wenn er seine Portion Milch beim Stillen eingefordert hatte. Wir beeilten uns, um alles zu schaffen.

Als wir am ersten Morgen in der KITA ankamen, durften wir nicht mehr durch den gewohnten Eingang reingehen. Es gab jetzt nur noch einen Eingang, eine Art Schleuse, in der man so gering wie möglich mit anderen Eltern in Kontakt kam. Noch nie vorgekommen, wurden wir am Eingang von einer Erzieherin begrüßt, deren Identität wir im ersten Moment nicht erkennen konnten, weil sie eine „Maske“ im Gesicht hatte. Etwas später erkannten wir sie dann aber doch. Sie notierte unsere Anwesenheit und gab uns das okay, in die Umkleide gehen zu können. Erst dann durften wir hinein, damit gesichert war, dass wir nicht mit anderen in Kontakt traten.

Spielregeln befolgen

Doch bevor wir überhaupt die KITA betreten durften, musste ich mir eine Maske aufsetzen, dass sei jetzt so Pflicht. „Mhh komisch“, dachte ich mir, „meine Kinder haben mich noch nie damit gesehen“. Bis jetzt habe ich die Maßnahmen immer kritisch hinterfragt und deren Sinn einfach nicht verstanden. Abgesehen von fehlenden wissenschaftlichen Studien erklärt sich diese Maßnahme noch viel weniger, da Kinder dieselben Keime haben wie ihre Eltern.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich alle Erledigungen immer ohne Maske gemacht. Doch was nun? Ich war ja in einer Abhängigkeit!? Damit ich wieder arbeiten gehen konnte und meine Kinder endlich mal wieder zu ihren Freunden gehen durften, musste ich mich unterwerfen und die Spielregeln befolgen. Die Kinder sahen mich mit großen Augen an, die große Tochter fand es noch lustig, der Kleine schaute etwas verängstigt. Leider konnte ich auch gar nicht die richtigen beruhigenden Worte finden, da ich selbst mit der Situation im Konflikt stand und durch die Maske auch schlechter zu verstehen war.

In den Gruppenräumen angekommen, mussten wir feststellen, dass die gewohnte Gruppe nun aufgeteilt war und die zwei gewohnten Räume jetzt jeweils nur von einer Gruppe betreten werden durften, damit die Keime sich nicht so schnell vermischen. Die große Tochter, die mit der Situation bis dahin kein Problem hatte, fand das befremdlich, zumal sie nicht in den Raum durfte, in dem ihre beste Freundin spielte, denn diese Gruppe war schon voll. Hinzu kam, dass ihre Lieblingserzieherin auch noch diese Gruppe betreute. Puh, so ein Niederschlag, doch als Eltern haben wir gelernt, die Kinder zu motivieren, und die unschönen Dinge irgendwie schön zu reden.

Eine neue Eingewöhnung

Nur ist das sehr schwer, wenn einem schon die Luft zum Atmen hinter dieser Maske fehlt und dann noch der Kleine auf dem Arm, den ich erst danach in seine Gruppe brachte, weil ich mir für seine „neue Eingewöhnung“ etwas mehr Zeit nehmen wollte. In der kleinen Gruppe angekommen, herrschte bei der Aufteilung der Räume die gleiche Situation. Wenn wir Glück gehabt hätten, hätte er in die Gruppe gedurft, in der seine geliebte Rutsche mit den vielen Bällen immer war, doch seine Bezugserzieherin war im anderen Raum. Ein Konflikt, doch ich versuchte Gelassenheit auszustrahlen.

Vorgesehen war eigentlich nur eine rasche Übergabe an der Tür, wegen der Keime… Doch nach neun Wochen KITA-Pause ist das bei einem 1,5-jährigen Menschlein schwer zu realisieren. Oder doch, wenn man muss, geht alles – auf Kosten der Kinderseele und des Urvertrauens zu den Eltern. Hauptsache die neuen Spielregeln werden eingehalten, sonst hätten wir den KITA Platz verloren und ich hätte meiner Arbeit nicht nachgehen können, der ich ja seit neun Wochen auch schon nicht nachgehen konnte, wodurch unsere Existenz stark gefährdet war. Wieder ein Konflikt.

Zum Glück konnte ich durch meine – zwar aktuell gefährdete – Selbstständigkeit die Kinder nach dem Mittagessen wieder abholen, damit sie sich Stück für Stück wieder an den Alltag gewöhnen konnten, doch das musste genau auf die Minute erfolgen, um die Wege der Keimverschleppung so gering wie möglich zu halten.

Von neurotischen Waschzwängen bis zu Versagensängsten

Das Erste, was mir die große Tochter stolz an ihren Händen zeigte, waren zwei Stempel in Form eines Covid-19 Virus. Sie erklärte mir, dass sie den jetzt jeden Tag bekäme, und wenn er am nächsten Morgen sauber weg sei, sei das ein Zeichen dafür, dass sie sich fachgerecht die Hände waschen könne und somit sauber sei. „Puh“, dachte ich, „was für eine diktatorische Maßnahme.“ Was sollen daraus für Zwänge entstehen, etwa neurotische Waschzwänge bis hin zu Ängsten des Versagens, wenn wir die Stempel mal nicht gründlich abbekommen, weil die zarte Kinderhaut schon gereizt und gerötet ist? Dass sowas auch zu Allergien führen kann, egal, aber die seelischen Schäden, eines Gruppenzwangs und Kontrollwahns zu unterliegen, gehen definitiv zu weit.

Was ist nur aus den liebevollen Erzieherinnen geworden? Sind sie jetzt die Corona Polizei? Das Ordnungsamt? Oder eventuell die Viehtreiber oder Gefängniswärter, wenn sie zusätzlich zu diesen absurden Maßnahmen die KITA-Spielplätze in Zonen einteilen und bewachen sollen, damit die Kinder sich beim Spielen wieder nicht vermischen?

Selbst der regelmäßige Morgenkreis, in dem wichtige Themenfelder gemeinschaftlich erlernt werden, oder Geburtstagsrunden, sollen nur noch getrennt stattfinden oder am besten vermieden werden.

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