Die Geschichten hinter dem Lockdown Nr. 06: „Corona klärt Vieles“

Anonymer Erfahrungsbericht – Der Name ist der Redaktion bekannt

Kurz vor Silvester im Jahr 2016 wachte ich auf der Intensivstation der Raphaelsklinik in Münster auf. Kaum bei Bewusstsein sagte mir der Krankenpfleger: „Es wird alles gut. Die Milz ist raus, aber damit können Sie gut weiterleben!“

Nach der Diagnose Tumor/Krebs an der Bauchspeicheldrüse, wollte ich mit dieser Stimmung weiterleben, wollte ins Leben zurück, besorgte mir die notwendigen Impfungen bis zum Arbeitsbeginn im April 2017. Ich spürte schon in den letzten Jahren, dass ich weniger Energie hatte, doch meine Halbtagsstelle im Jugendamt/Kinderschutz machte ich mit Engagement weiter.

„Die Arbeit für die Kinder ist wichtig und muss weitergehen.“

Dann kam Corona und mein Arbeitgeber kam sehr verspätet mit Schutzmaßnahmen, so dass ich mich krankschreiben lassen musste. Mir wurde von meiner Teamleitung vorgeworfen, ich würde ärztliche Gutachten vorlegen, die nicht korrekt seien, sie verbreitete schlechte Stimmung im Team gegen mich. Corona war „Meinungssache“ und schnell war ich raus aus einem Arbeitsbereich, in dem ich noch 2018 mit vier Kollegen über fast ein Jahr mit halber Besetzung und ohne Teamleitung gearbeitet hatte. Das tat weh! Rechtfertigen wollte ich mich nicht, als einige Kollegen Kontakt aufnahmen. Das Team, die Arbeit für die Kinder, ist wichtig und soll/muss weitergehen.

„Viele Kinder litten unter den Beschränkungen durch Corona.“

Viele Kinder litten unter den Beschränkungen durch Corona. Sei es, dass der Kindergarten wegfiel, was in Konfliktfamilien ein wichtiger Ort für die Kinder ist, dass Väter plötzlich ihre Kinder nicht mehr sehen durften oder ambulante Hilfen in den Familien nicht mehr vor Ort waren.

Hinsichtlich meines Arbeitgebers habe ich Anfang Mai um ein Gespräch zur Wiedereingliederung gebeten, nachdem ich mich beim Sozialverband und einem Anwalt für Arbeitsrecht beraten hatte. Inzwischen hat die Amtsärztin meines Arbeitgebers Mitte Juni bestätigt, dass ich in meinem alten Arbeitsbereich nicht mehr arbeiten kann. Man sucht nach Lösungen.

Zeit für Selbstfürsorge

Bis heute lebe ich von Krankengeld, nicht schön, aber mehr Sicherheit, als manch anderer hat.

Die Zeit habe ich genutzt für Selbstfürsorge: Meine Ernährung verändert, mein Gymnastik- und Sportprogramm überdacht, meine Beziehung zu dem Wert meiner Arbeit überdacht, alte Bindungen teilweise gelöst, neue Menschen kennengelernt. Corona klärt Vieles. Ich denke, was richtig ist, wissen wir wohl erst in einigen Jahren.

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