Die Geschichten hinter dem Lockdown Nr. 13: „Süditalien – Helikopter und Drohnen flogen über unsere Köpfe“

Anonymer Erfahrungsbericht – Der Name ist der Redaktion bekannt

Ende Januar kamen die ersten Informationen über Covid-19 und ich hätte nie gedacht, dass es so weit kommen könnte. Die Situation spitzte sich immer mehr zu, und Ende Februar gab es den ersten Fall und die Schulen wurden geschlossen. Die Supermärkte wurden geleert und man fand kein Desinfektionsmittel, Handschuhe, Gesichtsmasken und Putzalkohol mehr.

Arbeiten in Gesichtsmaske und Handschuhen

Noch wusste man nicht, wie es mit dem Unterricht weitergehen sollte. Ich habe zwei Kinder, 16 und zwölf Jahre alt. Nach etwa zehn Tagen hat die Schule entschieden, mit den Lektionen aus der Ferne weiterzumachen, da sich die Situation sicher für einen Monat nicht ändern würde. Am Anfang kamen meine Kinder zu mir in den Laden, um sich mit dem WLAN zu verbinden. Mitte März bekamen wir Ladenbesitzer vom Ministerium neue Vorschriften: Wir dürfen nur mit Gesichtsmaske und Handschuhen arbeiten, müssen zweimal am Tag desinfizieren und es dürfen sich höchstens zwei Kunden im Laden aufhalten.

Ab dann sind auch meine Kinder zu Hause geblieben. Davide, der Große, hat sein eigenes Handy, aber leider war der Empfang zu Hause schlecht. Auf der Terrasse haben wir einen kleinen Raum und er hat sich dort eingerichtet, mit einer kleinen Heizung, da es sehr kalt war im März. Natürlich war es schwierig und umständlich. Lisa, die Kleine, hat kein Handy und eine Cousine hat uns ihr Tablet ausgeliehen, aber da war das Problem mit der Internetverbindung, da beide über ein Handy ins Internet gehen mussten.

Jeden Tag wurde es schlimmer

Mitte März wurden die meisten Läden, Friseure, Kosmetikerinnen und Büros aufgefordert zu schließen. Supermärkte, Apotheken und Drogerien durften weiterarbeiten. Auch ich gehörte dazu. Jeden Tag wurde es schlimmer, die Leute gingen nicht mehr raus, es war keine Seele mehr auf der Straße und es war wirklich unheimlich, abends nach Hause zu gehen. Ein Auto der Gemeinde fuhr herum mit einem Tonband, auf dem der Bürgermeister die Einwohner aufforderte: „Bleibt zu Hause! Geht nur dringenden Fällen raus, wie zum Einkaufen und in die Apotheke! Bleibt zu Hause!!!“ Und das den ganzen Tag lang.

Die Situation wurde für mich stressiger, die Arbeit verdoppelte und verdreifachte sich, die Kunden riefen mich an oder schrieben mir per WhatsApp, ob ich dies oder jenes hätte. Das Telefon klingelte immer wieder. Die Kunden verlangten den Einkauf, blieben zu Hause, und in der Freizeit machte ich die Zustellung zu ihnen nach Hause. Die Arbeit wurde mehr, ich hatte neue Kunden, weil die nicht im Supermarkt Schlange stehen wollten. Viele kamen nur einmal in der Woche, um den Großeinkauf zu machen, was auch stressig war, weil ich viel Zeit dafür brauchte. Am Anfang habe ich fast nur Mehl und Hefe verkauft und Ende des Lockdowns nur noch Nori-Algen für Sushi! Oft blieb ich nach den Öffnungszeiten im Laden um Bestellungen aufzugeben, aufzuräumen und zu desinfizieren.

Gemeinde unter Hausarrest

Mein Mann gehörte auch zu denen, die nicht “raus” durften, da er Schreiner ist. Für ihn war es schlimm, da er immer gearbeitet hat und nie zu Hause geblieben ist. Er hat mir aber viel abgenommen und ich musste mich nicht um den Haushalt und das Kochen kümmern. Davide ging in der Zwischenzeit zur Oma aufs Land, da er sich dort mit dem WLAN verbinden konnte und wir sahen uns tagelang nicht mehr. Lisa konnte über das Handy ihres Vaters ins Internet. Natürlich musste ich mich weiterhin mit der Schule befassen, da das Material und Hausaufgaben ausgedruckt werden mussten.

Außer denen, die zur Arbeit mussten, war der Rest der Gemeinde unter “Hausarrest”. Diese Zwangsmaßnahme brachte schnell die Stimmung zu Hause ins Wanken. Zum Glück fuhr mein Mann mit den Kindern ab und an zu meinen Eltern aufs Land. Zum Glück wurde er niemals von der Polizei angehalten. Die Polizei hielt regelmäßig Autofahrer an und auch Fußgänger auf der Straße. Eines Samstagnachmittages waren ich und mein Sohn in der Altstadt unterwegs. Ich wählte einen längeren Weg, um mich ein bisschen zu bewegen. Prompt wurden wir von der Polizei angehalten und ausgefragt, wie Schwerverbrecher. Wir mussten uns rechtfertigen, wieso wir unterwegs waren, wieso zu zweit, von wo und wohin wir gingen und wieso wir den längeren Weg nahmen. Mein Sohn war geschockt von diesem Verhalten.

Eine geteilte Gesellschaft

Während des Lockdowns flogen auch regelmäßig Helikopter und Drohnen über unsere Köpfe und Terrassen. Über Ostern war es ganz schlimm. Wir durften ja nicht mit den Freunden und Verwandten feiern!

Die meisten Kunden sind dann langsam nach dem Lockdown raus um auch wieder die Normalität zu finden. Einer der letzten Kunden ging Ende Juni raus und der letzte kam letzte Woche aus dem Haus. Der war ganz stolz, dass er ganz präzise die Regeln befolgt und mit niemandem Kontakt hatte. Ja, vier Monate zu Hause kann sich auch fast niemand leisten! Und auch er nur dank der Hauszustellung und da er schon Pensioniert ist.

Die Gesellschaft ist geteilt, die Einen laufen immer mit der Maske umher und schauen dich geschockt an, wenn du ihnen zu nahekommst, und die anderen feiern überall. Deshalb hat der Bürgermeister beschlossen, die Bars und Restaurants um zwei Uhr zu schließen, und von 19 bis zwei Uhr müssen alle in der Altstadt eine Maske tragen. Auch in den Läden besteht noch die Maskenpflicht und ich muss meine Kunden auffordern sie anzuziehen. Ich will ja keine Geldbuße!

Verbotene Umarmungen

Am 24. September fängt bei uns die Schule an. Noch wissen wir nicht genau, was die neuen Regeln sind. Sehr wahrscheinlich werden meine Kinder weiterhin mit den Onlinelektionen weitermachen. Ich möchte nicht, dass sie dem ganzen Stress von Distanz und dem ganzen Desinfektionsmittel ausgesetzt werden. Wenigstens bis sich die Angelegenheit wieder beruhigt hat.

Was mich am meisten betroffen hat, ist, dass die meisten Kinder zu Hause geblieben sind. Darunter haben meine Kinder am meisten gelitten. Meine Kleine geht jetzt ab und zu mit einer Freundin raus, die immer eine Gesichtsmaske trägt. Letztes Mal sind sie gerannt und als sie im Laden angekommen sind, schnappte die Freundin nach Luft. Ich habe sie aufgefordert die Maske abzulegen, da sie sonst ohnmächtig würde. Die Eltern reden ihr immer ein, dass sie niemand umarmen dürfe, was sie aber macht, sobald die Eltern nicht mehr zu sehen sind.

Trotz dieses Wahnsinns, habe ich die Ruhe während des Lockdowns genossen. Keine Hupen, keine Autos, nur noch Ruhe und Vogelgezwitscher.

Ach ja, meine Stadt hat fast 50.000 Einwohner und 12 Covid-19-Positive!

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