Die Geschichten hinter dem Lockdown Nr. 15: „Eine Atmosphäre der Kinderfeindlichkeit“

Anonymer Erfahrungsbericht – Der Name ist der Redaktion bekannt

Ich lebe in einer mittelgroßen Stadt und habe zwei Kinder. Das ältere Kind war in der 1. Klasse, als der Lockdown kam, das jüngere seit ca. 6 Monaten im Kindergarten, in einer Krippenkindergruppe (U2). Ich arbeite Teilzeit, meine Stelle ist als nicht systemrelevant eingestuft gewesen, da es jedoch eine Schnittstellte ist, über die viel Kommunikation läuft, hat Corona extrem viel Arbeit gemacht. Ich lebe in einer Fernbeziehung, d.h. ich bin den überwiegenden Teil der Zeit alleine mit den Kindern.

Ausfall jeglicher Unterstützungsstruktur

Ich habe die Schul- und Kita-Schließungen sowie die Schließungen der Läden geahnt, die Stimmung ließ es erwarten. Mitte März hatte mein Schulkind einen chronischen Husten (wie oft zu der Jahreszeit), hartnäckig und über Wochen. Ich selbst war gesundheitlich angeschlagen und mein Kleinkind war fit wie ein Turnschuh. Der Lockdown bedeutete für mich: Von einem Tag auf den anderen mit beiden Kindern allein zu Hause, Homeoffice parallel und den Ausfall fast jeglicher Unterstützungsstruktur wie Babysitter und ähnliches, die alle nicht mehr kamen.

Ich hatte keinerlei Möglichkeiten, mir Unterstützung für Besorgungen zu holen, da es verboten war, sich auf der Straße bzw. im öffentlichen Raum mit Personen aus einem anderen Haushalt aufzuhalten. Die Folge war, dass mein Partner und ich bereits nicht mehr gemeinsam auf die Straße gedurft hätten, nur jeweils alleine mit unserem Kind (er zur Ausübung eines Umgangsrechts) da wir in unterschiedlichen Orten leben. Wir hatten auch große Sorge, dass er nicht zu uns würde kommen können, weil es die damaligen Regeln in einigen Bundesländern verboten, zu solchen Zwecken zu reisen. Glücklicherweise ist er nie aufgehalten worden.

Als hätten wir die Pest

Ebenso hatten wir auch große Sorge, ob mein älteres Kind, welches in der ersten Woche der Schulschließungen zur Oma zu Besuch ging, die in einem anderen Bundesland lebte, überhaupt noch wieder zu mir kommen dürfe, da es auch hier Regeln gab, die es verboten, dass er überhaupt mit der Oma auf der Straße unterwegs war oder die Bundeslandgrenze passierte (auch hier zum Glück nie etwas passiert bei uns, jedoch habe ich einige Bekannte mit Kindern, die unschöne Geschichten erlebten).

Da ich meine Kinder nicht alleine zu Hause lassen konnte, habe ich ab diesem Tag alles mit den Kindern gemeinsam erledigt. Die Folge war, dass wir oftmals behandelt wurden, als hätten wir die Pest oder ähnliches. Einmal sind wir sogar aus einer Apotheke geflogen. Ich habe oft gehört, wie ich nur so unverantwortlich sein könnte, die Kinder mit auf die Straße zu nehmen… ich hätte es meinen Kindern sehr gern erspart, in dieser Situation draußen sein zu müssen!

Reise nach Schweden

In meiner Arbeit sind fast nur Männer, die Hausfrauen zu Hause haben, sodass ich immer die einzige war, die parallel zu Video- und Telefonkonferenzen kleine Kinder zu betreuen hatte. Das hat den Druck, dass es funktionieren muss, nur noch erhöht, vor allem den, den ich mir selbst gemacht habe, denn mein Chef war sehr hilfsbereit und unterstützte mich wo es nur ging.

Als nach Ostern klar wurde, dass Schul- und Kita-Schließungen weitergehen würden, haben wir eine Gelegenheit bekommen, für einige Wochen nach Südschweden zu gehen. Mit einem Auto sind wir quer durch Deutschland gereist, immer in der Sorge, angehalten zu werden. Wir hatten zig Bescheinigungen und Papiere dabei und sahen in Norddeutschland auch viele Polizeiautos stehen, die die Autobahnabfahrten zu kontrollieren schienen. Da wir jedoch ohne Umwege bis zur Fähre fuhren, wurden wir nicht angehalten. Wir sind einige Tage vor Beginn der Maskenpflicht ausgereist.

Erleichterung

Es war eine immense Erleichterung, in Schweden anzukommen. Mir fiel erst dort richtig auf, wie sehr wir unter Druck lebten in Deutschland. Mein Kleinkind durfte in einen Kindergarten gehen und freute sich jeden Morgen auf den Kontakt mit anderen Kindern. Mein Erstklässler konnte sich nachmittags zumindest im Freien mit anderen Kindern zum Spielen treffen.

Auch in Schweden wurde viel auf Abstand geachtet, war an jedem Supermarkteingang ein Desinfektionsmittelspender (den ich bei uns übrigens vermisste!) und Abstandsmarkierungen an den Kassen etc. Aber insgesamt war die Atmosphäre eine andere. Und die überbordende Kinderfeindlichkeit war nicht vorhanden.

Überwachungsatmosphäre

Ende Mai reiste ich mit dem großen Kind nach Deutschland zurück. Was hatte sich das Land verändert in diesen wenigen Wochen. Die Maskenpflicht irritiert mich bis heute. Noch mehr irritiert mich, dass viele Menschen keinen Abstand mehr halten (den ich unabhängig von einem Virus sehr angenehm empfunden habe!) aber gleichzeitig überwacht und belehrt wird… Die „Überwachungsatmosphäre“ der Gesellschaft ist für mich stark spürbar. Sei es, dass Kinder denunziert wurden, die im März die Kontaktverbote nicht einhielten, sei es, dass Menschen ohne Maske vehement angesprochen werden („wir schützen auch solche wie SIE“ – wissen wir denn, warum der Mensch keine Maske trägt?).

Mein Schulkind leidet neuerdings unter Übelkeit beim Busfahren. Obwohl er deswegen eine Befreiung von der Maskenpflicht für die Busfahrten erhalten hat, nimmt er die Maske nicht ab – es könnte den Nebenmenschen so unangenehm sein… jetzt füttere ich mein Kind jeden Morgen mit Reisekaugummi… gegen mein besseres Wissen, was richtig wäre, weil ich versuche, dem Kind den Stress so klein wie möglich zu halten. Übrigens, genau dieses Kind hat nach der Rückkehr aus Schweden gesagt „Oh nein, jetzt muss ich wieder aufpassen, was ich auf der Straße sage!“ Mein Kleinkind rennt heute noch auf andere Menschen zu, biegt etwa 2 Meter vor ihnen ab und macht einen Bogen um sie…

Ich kann mir nicht vorstellen, wie es den Menschen in Italien oder Spanien ergangen sein muss…