Die Geschichten hinter dem Lockdown Nr. 19: „Sie litt und starb alleine“

Erfahrungsbericht von Renate Salinger

Es ist eine bittere, leidvolle und schmerzhafte Tatsache: Ich habe meine fast 97-jährige Mutter in ihrem Altenheimzimmer alleine liegen, leiden und sterben lassen… müssen. Ich konnte nicht bei ihr sein, als sie mich gebraucht hätte.

Ich konnte die Hand meiner Mutter während ihrer letzten Lebenstage nicht halten. Wir konnten nicht voneinander Abschied nehmen.

Besuchsverbot

Als ich meine Mutter Anfang März das letzte Mal in dem Altenheim in Sachsen besuchte, war sie noch relativ mobil und wir ahnten beide nicht, was auf uns zukommen würde. Ab der angeordneten Besuchersperre blieb uns nur noch telefonischer Kontakt, sofern sie dazu in der Lage war, sonst nichts.

Eine überängstliche Heimleiterin hatte sogar angeordnet „gar nichts mehr reinzunehmen“. Also auch keine Wäsche, keine Aufmerksamkeiten, keine Geschenke!

Wie einsam, verängstigt und alleine gelassen mag sich meine Mutter in ihren letzten Lebenstagen wohl gefühlt haben? Zumal sie erst seit wenigen Wochen im Heim war und noch Eingewöhnungsschwierigkeiten hatte.

Unerträgliche Schmerzen

Meine Mutter litt in ihren letzten Tagen auch an starken körperlichen Schmerzen und an anhaltendem Durchfall. Ihre letzten an mich gerichteten Worte am Telefon „Renate, ich habe seit drei Tagen unerträgliche Schmerzen!“ werde ich wohl nie vergessen.

Mit einem Arzt konnte ich nicht sprechen, weil es keinen gab, der meine Mutter im Altenheim aufsuchte… Mindestens eine Woche lang hatte uns die Ansprechpartnerin im Pflegeheim versprochen, dass sich ein Arzt unserer Mutter annimmt. Aber dazu kam es nicht, bis eine Pflegeschwester die dringende medizinische Hilfe rief. Wenig später, am 1. April, verstarb meine Mutter im Krankenhaus… Die Diagnose: Bauchspeicheldrüsenentzündung. Das erklärt vermutlich die starken Schmerzen, die sie schon tagelang hatte!

Hilflosigkeit

Sie war erlöst von ihrem Leiden! Noch weitere Wochen voller Schmerzen und Einsamkeits- und Verlassenheitsgefühlen sind ihr so erspart geblieben.

Ja, meine Mutter hat ein hohes Alter erreicht, dafür bin ich dankbar. Aber die Umstände, unter denen sie ihre letzten Lebenstage verbringen musste, was sie vor ihrem Tod noch hat erleiden müssen und dass ich ihr nicht helfen konnte, sondern dem Geschehen hilflos gegenüberstand, das ist noch immer schwer auszuhalten.