Vitamin B12 (Cobalamin)

Frage:
Überall ist zu lesen, der Mensch benötige tierische Nahrung, um seinen Vitamin-B12-Bedarf zu decken. Besteht bei Vegetariern die Gefahr eines Vitamin-B12-Mangels?

Antwort:
Der Begriff Vitamin leitet sich aus dem Lateinischen ab (Vita = Leben; Amin = stickstoffhaltige Verbindung), wobei nicht alle Vitamine Stickstoffatome enthalten. Der Vitaminbegriff hat sich im Laufe der Wissenschaftsgeschichte stark gewandelt. Vitamine sind Substanzen, die unser Organismus für die Erhaltung seiner Lebensfunktionen benötigt. Mikroorganismen und Pflanzen können diese Verbindungen selbst synthetisieren. Mit Ausnahme des Vitamin D geht man heute davon aus, dass der Mensch Vitamine nicht oder in nicht ausreichender Menge synthetisieren kann. Die meisten Vitamine sind für den Menschen essenziell (unentbehrlich, lebensnotwendig) und müssen in geringen Mengen mit der Nahrung aufgenommen werden, um Stoffwechselstörungen zu verhindern. Biochemiker und Ernährungswissenschaftler vermuten, dass den höheren Organismen im Laufe der Evolution die zur Vitaminsynthese benötigten Enzyme verloren gingen.

In Deutschland ist sowohl die Buchstabenbezeichnung des Vitamins (z. B. Vitamin A, B, C) als auch die Wortbezeichnung (z. B. Ascorbinsäure/Vitamin C, Tocopherol/Vitamin E) üblich. Vitamine übernehmen durch ihre regulatorischen Funktionen eine Schlüsselstellung im Stoffwechsel und sind Grundvoraussetzung für die Leistungsfähigkeit des Organismus. Das Cobalamin ist die bisher einzige natürlich vorkommende Substanz, in der das Spurenelement Cobalt enthalten ist. Daher kommt auch sein Name. Der Entdecker von Vitamin B12 ist der Engländer Lester Smith. Die Reindarstellung gelang erstmalig 1948.

Vitamin B12 ist ein überaus komplexes Molekül, das nur von Mikroorganismen synthetisiert werden kann. Ein ernährungsbedingter Vitamin-B12-Mangel ist sehr selten und kommt praktisch nur bei einseitiger Kostzusammenstellung vor. Wer sich abwechslungsreich vollwertig ernährt und eine gesunde Darmflora hat, braucht Vitaminmangelzustände nicht zu befürchten. Der Vitamin-B12-Bedarf ist sehr gering (1–3 μg; 1μg = 1 Mikrogramm = 1/106g). Ein Mangel an Vitamin B12 aufgrund mangelnder Zufuhr tritt meist erst nach 1–2 Jahren auf (andere Autoren nennen eine Latenzzeit von 3–7 Jahren), denn eine gesunde Leber ist in der Lage, etwa die tausendfache Menge des täglichen Bedarfs an Vitamin B12 zu speichern. Vitamin B12 kommt nicht nur in tierischen Produkten wie Fleisch, Fisch, Eiern
und Milch vor, sondern auch in milchsauer vergorenen Lebensmitteln wie Sauerkraut und im rohen Getreidebrei. Vitamin-B12 wurde in Spuren in folgenden Lebensmitteln nachgewiesen: Petersilie, Pfirsiche, Schwarzwurzeln, Getreidekeime, Zitronenmelisse, Beinwell. Die sicherste Vitamin-B12-Quelle ist die »Eigenproduktion« durch Mikroorganismen im Darm. Ralph Bircher berichtet im Geheimarchiv der Ernährungslehre über Untersuchungen, die belegen, dass bei Vegetariern keinerlei Erscheinungen von Vitamin-B12-Mangel gefunden wurden.

Die Aussage, dass Personen, die eine rein pflanzlich ausgerichtete Ernährung praktizieren (Veganer), häufig einen Vitamin-B12-Mangel erleiden, ist falsch. Bei genauer Betrachtung dieser seltenen Einzelfälle zeigt sich, dass keine Vollwertkost verzehrt wird, sondern extrem einseitige Ernährungsgewohnheiten praktiziert werden (z. B. ausschließlich Ernährung mit Wasser und Obst). Immer wieder wird behauptet, dass das durch Mikroorganismen im menschlichen Dickdarm synthetisierte Vitamin B12 nur ungenügend resorbiert werden kann. Ausreichende Beweise für diese Behauptung sind nicht geliefert worden. Einzelne Fälle von Anämien bei Vegans werden in der Literatur hochgespielt, sind aber im Vergleich zu der Zahl von Anämien bei der üblichen Zivilisationskost, die oft sehr einseitig ist, eine Ausnahme. Außerdem sind für die Entstehung einer perniziösen Anämie (Vitamin-B12-Mangelanämie) noch viele andere Faktoren von Bedeutung, wie z. B. Beschaffenheit der Magenschleimhaut (Intrinsic factor, Haptocorrin), Transcobalamin (Dünndarmschleimhaut), bakterielle Besiedlung (Mikroflora des Dickdarms), Erkrankungen des Ileums (Morbus Crohn), Mangel an frischem Obst und Gemüse, künstlich gedüngte Böden, konventionelle Landwirtschaft (mangelhafte Bodenfruchtbarkeit), Nikotin- und Alkoholabusus usw.

Literatur: Biochemie des Menschen, Thieme, 6. Aufl.